Feuchtgebiete: Roman (German Edition)
treffen oft Menschen, die nicht wissen, dass sie grad unter einem asiatischen Baum hergehen, der nicht mit Wind umgehen kann, weil er so damit beschäftigt ist, alles zu überschatten und untenrum auszutrocknen, dass er vergisst, seine eigene Standkraft aufzubauen.
Ich mache einen großen Bogen um Essigbäume. Auf meinem Grabstein soll so was nicht stehen.
Wenn ich die Straße langgehe, sehe ich überall Essigbaumableger. Die wachsen aus jeder Ritze raus. Sehr fortpflanzungsfreudige Bäume. Ich vermute mal, die Stadt muss die dauernd entfernen, sonst gäbe es schon längst nur noch Essigbäume hier. Manchmal sehe ich, dass Leute in ihrem Garten einen wachsen lassen, der sich da eingenistet hat. Selber schuld. Bald ist er der einzige Gartenbewohner. Ich kann aber nicht überall klingeln und denen das sagen. Zu viel Arbeit. Hat leider nicht jeder einen Vater wie ich, der einem so Nützliches beibringt.
Die Blätter sind ganz groß. In der Mitte ein langer Stiel, oben ein kleines Blättchen als Kopf, und dann geht es sehr symmetrisch nach unten mit den Teilblättern. Rechts und links, wie Rippenknochen. Ich suche mir draußen am Baum einen Stängelstrang aus und zähle die Blätter. Irgendwie muss ich mich doch hier beschäftigen. Fünfundzwanzig Blätter an einem Stängel. Adlerauge, Helen. Sag ich doch, dass die groß sind. Viel zu groß. Der Stamm ist eher glatt und grünlich, sieht aus wie nicht eingeritztes Graubrot. Fühlt sich gut an. Wenn man sich traut, unter den Baum zu gehen.
Genug mit der Umwelt beschäftigt. Jetzt bin ich wieder dran. Ich habe schon vor längerer Zeit was an meinem rechten Oberarm ertastet. Das guck ich mir jetzt an. Dafür schiebe ich die Schulter vor, packe den Speck am Oberarm und drehe ihn feste nach vorn. Da sehe ich es. Wie vermutet ein Mitesser. Ich weiß auch nicht, warum die Oberarme immer voll davon sind. Meine eigene schlechte Erklärung dafür lautet: Da wollen manchmal ein paar Härchen wachsen, und weil es dort eine große T-Shirt-Reibung gibt, bleiben die Härchen unter der Haut und entzünden sich.
Damit komme ich zu einem meiner größten Hobbys: Pickelausdrücken. Mir ist bei Robin im Ohr ein sehr großer Mitesser aufgefallen. Genauer gesagt steckt er in seinem Ohrlochvorhof. Habe ich schon öfters beobachtet, dass Leute an der Stelle besonders dicke, schwarze Dinger haben. Ich glaube, das sagt ihnen niemand, und so hat das Mitesserloch Jahre Zeit, sich mit Dreck und Talg zu füllen. Mir ist das schon ein paar Mal passiert, dass ich vergesse zu fragen und einfach nach den Pickeln von Leuten greife, um sie auszudrücken. Robin hätte ich auch fast ans Ohr gepackt. Konnte mich so gerade noch davon abhalten. Da verstehen viele keinen Spaß. Wenn man denen einfach ohne zu fragen einen Pickel ausdrückt. Die empfinden das als Grenzüberschreitung. Ich werde Robin aber fragen, ob ich den ausdrücken darf, wenn wir uns besser kennengelernt haben. Wir lernen uns bestimmt noch besser kennen. Den lass ich mir nicht entgehen. Den Mitesser meine ich, in Robins Ohr. Der ist für mich reserviert. Den Mitesser an meinem Oberarm klemme ich mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand ein, und mit einem Stoß kommt das Würmchen da raus.
Es wandert direkt vom Daumen in den Mund.
Das hätten wir schon mal erledigt, und jetzt kontrolliere ich noch mal die kleine Wunde.
Da ist ein Blutstropfen auf dem entstandenen Mitesserloch.
Ich wische drüber. Das geht aber nicht weg, sondern macht nur einen blutigen Streifen.
Genauso wie auf meinen Beinen nach der Rasur, wenn ich das gemacht habe und nicht Kanell. Schnell und schroff. Meistens kriege ich vom kalten Wasser auf der Haut und vom Rumstehen am Waschbecken Gänsehaut. Wenn ich da drüberrasiere, reiße ich mir jede Pocke auf. Da denke ich immer, sah mit Haaren eigentlich besser aus, jetzt ist überall, wo vorher ein Haar war, ein Blutpunkt. Irgendwann habe ich mir über die verletzten Beine eine Strumpfhose gezogen und einen interessanten Effekt erzielt. Die fast durchsichtige, hautfarbene Strumpfhose zieht jeden Blutfleck zu einem Streifen das Bein hoch. Sieht, wenn es fertig und oben angekommen ist, aus wie eine teure Spitzenstrumpfhose mit mysteriösem Muster. Trage ich öfter zum Ausgehen.
Diese Methode hat noch einen Vorteil. Ich esse ja sehr gerne meinen eigenen Wundschorf. Wenn ich nach so einem Abend die Strumpfhose ausziehe, reißt alles getrocknete Blut wieder ab, und es bilden sich viele neue kleine Krüstchen. Die kann ich
Weitere Kostenlose Bücher