Feuchtgebiete: Roman (German Edition)
meine bescheuerte Vergesslichkeit habe ich viel Energie verschwendet. Ich schaue in der Schublade von meinem Metallnachtschrank nach. Da liegen ein paar kleine Scheine. Muss Mama reingetan haben, als ich am Schlafen war. Oder hat sie es mir gesagt? Oder habe ich das geträumt? Mistgedächtnis. Jedenfalls habe ich jetzt mein Geld. Ich halte es auf meinem Weg in der Hand. Es gibt nämlich noch keine Laken mit Taschen. Mein Arsch gewöhnt sich an die Beinbewegung. Ich bin schon etwas schneller zu Fuß als bei meinem ersten Versuch. Bestimmt, weil die Tablette langsam wirkt. Ich starre den ganzen Weg auf den Boden. Mal gucken, wie weit ich komme, ohne auf meinen Kleidungsstil angesprochen zu werden. Ich haue auf den Buzzer. Die Tür schwingt auf, und diesmal gehe ich durch. Das Treppenhaus ist wie eine neue Welt. Hier mischen sich mehrere Krankheiten. Nicht nur Arschpatienten und Arschkrankenschwestern unterwegs. Eine alte Frau mit Schläuchen in der Nase läuft rum. Die Nasenschläuche enden in einem Rucksack, der an eine Gehhilfe gebunden ist.
Sie hat offensichtlich was am Kopf und nichts Proktologisches. Das ist doch mal eine Abwechslung. Sie hat schöne weißgraue Haare zu einem langen Zopf geflochten und ein paar Mal um den Kopf gewickelt. Und einen schönen Bademantel an. Schwarz mit überdimensional großen pinken Astern drauf. Und schöne Hausschuhe. Aus schwarzem Samt. Durch die Hausschuhe kann man ihren Halux erkennen. Das ist ein Überbein am großen Zeh. Der wächst dann immer schräger, über die anderen Zehen drüber. Und damit er das kann, drückt er das Zehengelenk immer weiter nach außen. Bis es ganz weit vom Fuß absteht. So ein Halux hat eine zerstörerische Kraft. Er sprengt auf Dauer jeden Schuh. Auch diese schwarzen Samthausschuhe bringt er bald zum Platzen. Die Zehen sind dann wie Zähne im Kiefer, die sich alle gegenseitig wegschieben und verdrängen und schief werden. Aber der große Zeh gewinnt diesen Kampf. Ich weiß das. Ich habe auch einen Halux. Haben alle in unserer Familie. Väterlicher- und mütterlicherseits. Sehr schlechte Gene eigentlich, insgesamt betrachtet. Weil der große Zeh da sein will, wo eigentlich die kleineren Zehen wohnen, müssen die kleineren nach und nach wegoperiert werden. Bei meinem Onkel, meiner Oma, meiner Mutter sind kaum noch Zehen dran. Bis ihre Füße aussehen wie Teufelshufe.
Ich will wieder über was Schönes nachdenken und suche noch etwas zum Abschluss meiner Omabetrachtung.
Ja, sogar ihre Besenreiser sind schön. Früher hätte ich diese aderartigen Gebilde Krampfadern genannt. Ich habe aber mal gefragt. Die heißen Besenreiser. Alles an ihr ist schön. Nur der Halux und die Schläuche nicht. Die Schläuche kommen aber bestimmt bald weg. Hoffentlich muss sie nicht damit sterben.
Ich drücke den Aufzugrufknopf und der hübschen Alten die Daumen und grüße sie ganz laut.
Falls sie schon schwerhörig ist. Alte erschrecken sich oft, wenn sie angesprochen werden. Sie haben sich schon dran gewöhnt, unsichtbar für andere zu sein. Freuen sich aber dann riesig, dass jemand sie gesehen hat.
Der Aufzug kommt von oben angefahren.
Das kann ich an dem roten Leuchtpfeil erkennen. Wenn ich mich von meiner Sterilisation noch recht erinnere, ist die Cafeteria im Kellergeschoss.
Die Aufzugtüren teilen sich mit einem lauten Quietschen in der Mitte und laden mich ein. Keiner sonst im Aufzug. Gut. Ich drücke U.
Da steht auch Cafeteria daneben. Ich nutze die Fahrt, um meine Toga mit der Hand, in der ich das Geld halte, hochzuheben und meinen selbstgebauten Tampon mit der anderen Hand rauszufummeln. Blutig und schleimklumpig, wie er ist, lege ich ihn in die Nähe der Drückknöpfe.
Der Ort der größtmöglichen Aufmerksamkeit in diesem fahrenden Kasten. Direkt darunter ist eine Stange zum Festhalten, ähnlich einer Geländerstange. Ich klappe das Hufeisen auf und balanciere das blutige, klebrige Stück genau in die Mitte der Stange. Geschafft. Toga wieder runter, als wäre nichts gewesen. Die Tür geht auf, und da stehen zwei Männer. Sehr gut. Sehen aus wie Vater und Sohn. In dieser Familie wird auch nicht viel über die wichtigen Dinge des Lebens gesprochen. Das sehe ich beiden Gesichtern an. Der Vater ist krank. Er ist graugelb im Gesicht und trägt einen Bademantel. Vielleicht rauchkrank? Der Sohn muss auf Besuch sein. Ich grüße freudestrahlend. »Guten Tag, die Herren.«
Und gehe ganz aufrecht raus. Kurze Zeit geht das. Die Männer sind eingestiegen. Der
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