Feuchtgebiete: Roman (German Edition)
dann, wenn gehärtet, abknibbeln und aufessen.
Schmeckt fast so gut wie Schlafdreck. Das, was der Sandmann einem bringt und in die Nasenecke vom Auge legt.
Wenn ich so schlecht mit meinen Wündchen an den Beinen umgehe, wächst auch schon mal die ein oder andere Hautpore zu und lässt das Haar, das da drunter wohnt, nicht mehr raus. So wächst es immer weiter, nur eben im Kreis rum unter der Haut. Wie die Avocadowurzel im Glas. Irgendwann entzündet es sich, und dann kommt Helen ins Spiel. Ich war die ganze Zeit über sehr geduldig. Obwohl das Haar immer gerufen hat: »Hol mich hier raus, ich möchte gerade wachsen wie die anderen auch, an der frischen Luft«, habe ich die Finger davon gelassen. Schwer. Lohnt sich aber für diesen Moment:
Ich steche eine Nadel in den entzündeten Hubbel und drücke erst mal den Eiter da raus. Von der Fingerspitze in den Mund damit. Dann ist das Haar dran. Ich stochere so lange in der Wunde rum, bis ich das Haar zu fassen kriege. Es sieht immer ein bisschen verkrüppelt aus, weil es ja noch nie das Tageslicht gesehen hat und unter sehr beengten Umständen aufwachsen musste. Ich packe es mit einer Pinzette und ziehe es langsam mit der entzündeten Wurzel raus. Fertig. Oft wächst direkt an der bearbeiteten Stelle ein paar Wochen später noch mal so ein Vergnügen für mich nach.
Da hüpft eine Elster über den kahlgeschorenen Krankenhausrasen. Elstern klauen in Kinderbüchern glänzende Gegenstände wie Kronkorken, Alufolie und Ringe. In echt klauen sie kleinen Singvögeln die Eier. Picken sie auf und schlürfen sie aus. Ich versuche mir immer auszumalen, wie eine Elster ein kleines Loch in ein Singvogelei hackt und
ihren Schnabel als Trinkhalm benutzend das Ei aussaugt. Oder machen die das ganz anders? Springen auf das Ei, bis es ganz kaputt ist, und schlürfen dann die Glibberpfütze vom Boden?
Ich habe echt was am Laufen mit Eiern. Früher haben die Kinder immer gesungen »Fang mich doch, du Eierloch«. Wohl einfach, weil es sich reimt. Ich habe da aber immer große Bedeutung reingelegt.
Kanell habe ich mal erzählt, was ich mir da drunter vorstelle, und wir haben es eines Nachmittags nachgespielt.
Loch gleich Muschi, natürlich.
Da rein ein Ei. Für Eierloch.
Erst mal haben wir ein rohes genommen, das ist aber in Kanells Hand am Eingang der Muschi geplatzt. Keine Schale hat mich verletzt oder so. Nur war alles voll mit Glibber, und der war sehr kalt.
Also haben wir überlegt, ob es eigentlich ein rohes Ei sein muss. Eigentlich nicht. Wir haben also eins gekocht. Hart. Acht Minuten. Sehr hart.
Und eingeführt. Somit hatte ich endlich mal das Eierloch, das ich mir bei diesem Kinderspruch immer vorgestellt habe.
Das ist seitdem unser Insider. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Es gibt noch was anderes, was ich gerne mit Kanell machen würde.
Ich habe mir schon immer gerne an den Lymphknoten in der Leistengegend rumgespielt. Ich flutsche sie unter der Haut hin und her. Wie man es mit der Kniescheibe auch machen kann. Irgendwann letztens hatte ich den Wunsch, dass Kanell mir mal mit einem Edding die Knoten nachmalt. Um sie zu betonen. Wie man mit Schminke die Augen betont. Ist das schon eine sexuelle Fantasie? Oder nur eine Körperschmuckerfindung? Eine Fantasie ist es wohl nur, wenn ich beim Drandenken geil werde. Das ist der Fall. Und was passiert dann beim Umsetzen der Fantasie erst? Er ist gut im Umsetzen meiner Fantasien, ich unterstütze seine ja auch schon von Anfang an nach Leibeskräften.
Auf der Wiese kämpft die eine Elster jetzt mit einer anderen. Um was?
Wir Menschen stufen Elstern als böse Tiere ein, weil sie die Babys von anderen Vögeln essen. Wir essen aber selber die Babys von fast allen Tieren, die auf unserem Speiseplan stehen. Lamm, Kalb, Ferkel.
Da draußen geht Robin mit einer Krankenschwester spazieren. Die Elstern fliegen weg. Ich gucke den beiden Schlendernden entsetzt zu. Ich bin eifersüchtig. Das gibt es doch nicht. Bei mir melden sich Besitzansprüche, nur weil er einmal meine Arschwunde fotografiert hat und ich ihm einen aufgeilenden Vortrag über Unterhosenbastelei gehalten habe. Und weil die Schwester gehen kann und ich nicht. Jedenfalls nur sehr, sehr langsam. Beide rauchen. Und lachen. Was gibt es denn da zu lachen?
Ich will auch wieder gehen können. Ich gehe jetzt auch – in die Cafeteria. Hier gibt es doch eine, oder, Helen? Ja. Der grüne Engel hat doch davon gesprochen. Ich gehe jetzt langsam, wie ich bin, in die Cafeteria und hole
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