Feuchtgebiete: Roman (German Edition)
übertrieben hat mit der Einschätzung der eigenen Dehnbarkeit.
Das mit der Rothaarigen war eine schlechte Erfahrung insgesamt. Jedes Mal, wenn ich jetzt eine Hellhäutige mit roten Haaren sehe, lache ich in mich rein, denke, sie ist faul im Bett, hat kein Haar – nirgendwo, wie ein Alien –, isst gerne Fischlis und hatte noch nie was im Arsch. Und ihre Nippel stehen in die falsche Richtung.
Mein Vater hat mal besoffen auf einer Party zu einer rothaarigen Freundin von Mama gesagt: »Kupferdach, immer feucht im Keller.«
Von wegen!
Und jetzt, Helen? Was machst du jetzt? Schon einen Plan?
Ich könnte etwas aus dem Fenster gucken und versuchen, mich so lange wie möglich auf Natur zu konzentrieren. Es ist Sommer. Die Kastanien im Krankenhauspark blühen. Irgendsojemand, wohl ein Landschaftsgärtner, hat große, grüne Plastiktonnen halb durchgeschnitten und bepflanzt. Wenn ich das auf die Entfernung richtig sehe, mit Fuchsien und Tränenden Herzen. Das sind mit meine Lieblingsblumen. Klingt so romantisch. Tränende Herzen. Hat mein Vater mir beigebracht. Ich kann mir alles, was mein Vater mir beibringt, sehr gut merken. Für immer eigentlich. Alles, was meine Mutter mir beibringt, nicht. Mein Vater will mir aber auch seltener was beibringen, vielleicht geht das Lernen von ihm deswegen besser. Meine Mutter redet den ganzen Tag nur von Sachen, die ich mir merken soll. Was sie so denkt, was für mich wichtig ist. Die Hälfte davon vergesse ich sofort, und bei der anderen Hälfte tue ich absichtlich das Gegenteil. Mein Vater bringt mir nur Sachen bei, die für sein Leben wichtig sind. Alles über Pflanzen. Plötzlich sagt er: »Wusstest du schon, dass man Dahlien im Herbst aus dem Garten ausbuddelt und sie im Keller überwintern lässt? Um sie dann im Frühjahr wieder in den Garten einzupflanzen?«
Wusste ich natürlich noch nicht. Bums. Für immer gemerkt. Papa hat große Freude an seinem Wissen über die Natur. Mama macht die Natur und ihr Wissen darüber Angst. Sie scheint ständig dagegen zu kämpfen. Sie kämpft gegen Schmutz im Haushalt. Sie kämpft gegen die verschiedensten Insekten. Auch im Garten. Gegen Bakterien aller Art. Gegen Sex. Gegen Männer und auch gegen Frauen. Es gibt eigentlich nichts, womit meine Mutter kein Problem hat. Sie hat mir mal erzählt, dass der Sex mit meinem Vater ihr Schmerzen bereitet habe. Dass sein Penis zu groß für ihr Inneres gewesen sei. Diese Information gehört zu dem Wissen, das ich nicht haben will. Ich wollte mich doch eigentlich auf die Natur draußen konzentrieren. Dadurch kriege ich bessere Laune, als wenn ich über den Geschlechtsverkehr zwischen meinen Eltern nachgrübele. Ich stelle mir leider immer alles ganz genau vor. Und diese genaue Vorstellung ist mir oft sehr unangenehm.
Helen, töte diesen Gedanken in dir.
Da kommt die Langeweile wieder.
Mama sagt immer: »Wem langweilig ist, der ist selber langweilig.«
Naja. Die sagt ja auch: »Wir sind nicht auf der Erde, um glücklich zu sein.«
Deine Kinder jedenfalls nicht, Mama.
Helen, neuer Versuch. Wenn dir langweilig ist, könntest du dich noch mal mit dir selber zum aus dem Fenster Gucken verabreden. Gute Idee. Auch mal mit der Umwelt beschäftigen. Nicht immer nur mit untenrum. Jetzt zum Beispiel.
Ich reiße meinen Kopf schlagartig zur Seite und starre aus dem Fenster.
Wiese. Bäume. Kastanien. Was noch? Ich sehe einen großen Essigbaum. Das muss ich eigentlich nicht dazu sagen, dass der groß ist. Essigbäume sind immer groß. Sie machen mir Angst. Das hat mir auch mein Vater beigebracht. Vor Essigbäumen Angst zu haben. Sie kommen nicht von hier. Sind keine einheimischen Bäume. Irgendwas Asiatisches. Und sie wachsen viel schneller als unsere Bäume. Wenn sie noch klein sind – was nur sehr kurze Zeit der Fall ist – bilden sie einen langen, dünnen, gummiartigen Baumstamm, der erst mal alle Wachstumskraft in die Höhe legt.
So überholen sie schnell ihre Nachbarbäume. Sobald sie alle neben sich an Höhe übertreffen, breiten sie eine riesige Krone über allem aus. So stirbt alles, was da unten mal gewachsen ist, weil von oben kein Licht mehr kommt und weil unten im Boden das ganze Wasser weggesoffen wird von den schnell wachsenden Wurzeln des Essigbaums.
Das ist alles noch nicht so schlimm. Weil der Baum aber ganz schnell nach oben schießt, ist er im Vergleich zu unseren Bäumen richtig instabil. Beim kleinsten Windstoß brechen ihm ganze Äste ab. Das geschieht ihm recht. Aber die Äste
Weitere Kostenlose Bücher