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Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
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Zimmer und Teller mit geschältem Obst, holt ihm Eisbecher vom Italiener und klappt sein Notebook zu, wenn sie glaubt, er müsse einen Spaziergang machen, und auch dafür fühlt er einen fast demütigen Dank. Dass Schreiben eine harte körperliche Arbeit ist – schon der Satz hat schließlich graue Schläfen.
    Ihre Energie scheint deswegen unerschöpflich, weil Alina sie als solche gar nicht wahrnimmt. Sie macht, was gemacht werden muss, und während er noch über Müdigkeit und Erschöpfung klagt, ist sie schon eingeschlafen. Doch als er eines Morgens neben ihr wach wird, findet er sie erschütternd zart und blass, fast bleich, feine Schweißperlen auf der Nase, einen Kissenzipfel in der Faust. Immer noch sieht er das Kindauf dem Schulfoto in ihr, besonders wenn sie schläft; sie seufzt leise, krümmt sich ein wenig zusammen, und obwohl es keinen Grund zu irgendeiner Besorgnis gibt, denkt er unwillkürlich: Bleib bei mir, Kleine. Stirb mir nicht. Ein absurder Gedanke, der ihn erschreckt und ärgert zugleich; er schlägt sich mit dem Handballen gegen die Stirn, steht leise auf und kocht Kaffee.
    Nicht selten, meistens in Zeiten tiefer Zuneigung, hat er eine jähe Angst um ihre Gesundheit und ihr Leben; dann prüft er heimlich die Dicke ihres Mantels und das Profil und die Fütterung ihrer Winterschuhe und schaut nach dem Vorrat an Vitamintabletten. Er sorgt dafür, dass ihr Handy immer aufgeladen ist, ruft ihr vom Balkon aus nach, nicht wieder bei Rot über die Ampel zu gehen, und zieht sie wütend zurück, wenn sie zu nah an einer Bahnsteig- oder Bordsteinkante steht. Findet er in ihrer Abwesenheit ein Haar in seiner Reisetasche oder in einem Buch, das sie vor ihm gelesen hat, erinnert ihn das schmerzlich an die Möglichkeit, dass sie einmal nicht mehr bei ihm sein könnte – und lässt ihn nicht ohne Verblüffung schmunzeln darüber, wie wenig er sich inzwischen vorstellen kann, wieder frei zu sein von der Sorge um die Frau und offen für alles, was Zweisamkeit verschließt.
    Als er mit dem Frühstückstablett zurückkommt, ist Alina wach und lächelt traurig. Ihre Augen sind feucht, und sie antwortet zunächst nicht auf seine Frage, starrt nur reglos vor sich hin. Er setzt sich auf die Bettkante, gießt Milch in ihren Kaffee und wartet, und nach einigem Räuspern und Schlucken sagt sie ihm – etwas Zucker rieselt aufs Parkett –, dass sie tatsächlichvon ihrem Tod geträumt habe. Die Mutter sei mit der Nachricht zu ihr gekommen, in sechs Wochen müsse sie sterben, an einem Donnerstag. »›Was, so bald schon?‹ habe ich gesagt. ›Aber ich muss mich doch um meinen Mann kümmern. Gibt es keinen Aufschub?‹ Doch sie hat nur den Kopf geschüttelt, und da hab ich gedacht: Na ja, ist okay. Dann helfe ich dir eben als guter Geist.«
    Er stößt etwas Luft durch die Nase. Zum ersten Mal hat sie »mein Mann« gesagt, und das unterlegt ihre Mädchenhaftigkeit mit einem Ernst, der ihn entzückt – als wären sie, die es den Jahren nach längst sind, mit diesen beiden Silben auch im Herzen erwachsen geworden. Aber als er sie fragt, ob sie heiraten sollen, lacht sie bereits wieder und wischt sich die Augen mit dem Handrücken ab. »Nee, nee, mein Freund, das lassen wir mal. Ich kenne dich. Kaum hast du etwas unterschrieben, willst du es auch schon wieder zerreißen.« Sie trinkt einen Schluck, und er schüttelt zwar den Kopf, doch insgeheim ist er froh über diese Antwort; auch wenn er ganz selbstverständlich davon ausgeht, mit Alina den Rest seines Lebens zu verbringen, wäre das mit einem Vertrag nur halb so viel wert. Eine Liebe mit Stempel, das ist wie ein Gedicht ohne Poesie.

    Er nimmt seine Arbeit wieder auf, und eines Tages hört er neben dem Rascheln und Knistern von Päckchen und Tüten, das zu ihr gehört, etwas Fremdes, eine anders getönte Stille im Flur. Manchmal bringt sie Schüler oder Schülerinnen mit und gibt ihnenExtrastunden, meistens ohne Honorar; doch mit denen spricht sie nicht flüsternd, und als er seinen Bleistift weglegt und ausradiert, was zu lange fertig war im Kopf, um auf dem Papier lebendig zu klingen, dreht sich der Schlüssel im Schloss, und auf der Fußmatte steht ein Hund.
    Eine Kollegin Alinas hat eine Austauschstelle in Venezuela bekommen, für knapp ein Jahr, und ihr Vater, der ihn nehmen sollte, wurde plötzlich krank. Webster, eine vierjährige Mischung aus Labrador und Pointer, ist trotz der stolzen Silhouette ein sanfter, gut erzogener Rüde mit dunklen Bernsteinaugen und

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