Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
Vom Netzwerk:
und beißt von einem Brötchen ab. »Wie meine Großmutter immer sagt: Zweimal umziehen ist wie einmal ausgebombt werden.«

    Die Arbeit am Text wird absehbar, die Nerven zittern. Zwar mehren sich wie meistens gute Zeichen: das lange gesuchte Motto findet sich ein, Episoden, die nicht zu ihrer Form kommen wollten, runden sich wie von selbst, und eine entfernte, seit fünfzehn Jahren nicht gesehene Bekannte, die er annähernd beschrieben hat im letzten Kapitel, ruft eines Abends an. Gleichzeitigaber meldet sich der Körper. Die üblichen Rückenschmerzen, die brennenden Augen, der Magen. Nicht, dass er wirklich krank wäre, er ist es nie gewesen; offensichtlich gute Gene, die Freude an Bewegung und reinem Essen und nicht zuletzt sein hypochondrisches Naturell haben ihn davor bewahrt. Aber nicht krank zu sein fühlte sich früher schwereloser an. Oder, genauer: Er hat weniger beachtet, dass er gesund war. Zudem ist ihm aus der Zeit, in der er unter anderem als Pfleger in einem Universitätsklinikum gejobbt hat, neben der Erinnerung an eine leichte Hepatitis auch eine fatale medizinische Halbbildung geblieben, die immer noch bewirkt, dass er jedes Ziehen oder Jucken für das erste Symptom einer Krankheit hält, und zwar der schlimmstmöglichen, mit dem denkbar kompliziertesten Verlauf. Sich ein Fieber einzureden, bis das Quecksilber im Thermometer steigt, gehört zu seinen leichteren Übungen.
    Hypochondrie als Vertiefung des Selbstgefühls; man vergrößert sich um einen eingebildeten Schmerz. Doch auch wenn sie nur der Humor der Leiden ist, gewissermaßen ihr Necken: betrachtet durch die Lichtbrechung der mittleren Jahre, erscheinen einem plötzlich aufblitzende Stiche, ein überraschender Schwindel, eine Herzbeklemmung immer öfter wie das Vorgrollen jenes Unheils, das man nur deswegen nicht sieht, weil es bereits über einem schwebt. Zwar glaubt er insgeheim, dass es auch seine Angst vor Hilflosigkeit und Abhängigkeit ist, die ihn bislang beschützt hat vor ernsteren Krankheiten; aber gleichzeitig ahnt er, dass es wohl eine Krankheit sein wird, die ihn vondieser gottlosen Angst heilt. Denn jede enthält schließlich die Anmutung anderer Ebenen, jede bereitet vor. Deutlich wurde das oft auf den Wachstationen, in der zartgrauen Stunde vor Sonnenaufgang, wenn Schmerzen und Agonien eine Weile auszusetzen schienen, die Schwestern und Nachtwachen eingenickt waren und sogar das Fiepen und Ticken der Apparate leiser klang; eine seltsame Leichtigkeit war dann im Raum, in dem die Infusionen funkelten wie Kristall, eine Heiterkeit fast, als wäre das Schreckliche nur von dieser Welt. Als könnte es eine Gnade geben.

    Die Flugzeuge in der Luft, die rappelnden S-Bahnen und die endlosen, den ehemaligen Sumpfboden leicht zum Schwingen bringende Güterzüge – der Stoffwechsel der Stadt. Eichhörnchen im Goldmannpark, weiße Segel auf dem See. Vögel schreien in den Sträuchern, und wenn es nicht zu heiß ist, arbeitet er auf dem Südbalkon und blickt über die Gärten, in denen alte, zum Teil riesige Bäume stehen und schon Fundamente für neue Häuser gegraben werden. Schmale Wege, von Wacholder überwachsen, verbinden die Grundstücke, auf denen man Gemüse anbaut, Tabak sogar, und in den hoch gewölbten Toreinfahrten der frisch restaurierten Bürgerhäuser hallt das Geklingel des Schrotthändlers wider. Ringsum ist alles Beginn, in vielen Fenstern sieht man Stapel von Umzugkartons, auf den neu gepflasterten Terrassen frühstücken junge Familien, und während er an seinen Sätzen feilt, richtet Alina die Wohnung ein. Dabei sorgt sie dafür, dass er stetsMineralwasser, Fruchtsäfte oder frisch gebrühten Tee hat, und es ist ein Geschenk, das nun auch erleben zu dürfen: Den heiteren Willen und die Kraft und Zuversicht einer Frau, die sich und ihrem Liebsten ein Heim gestaltet für die kommende Zeit. Sie entwirft Pläne, bespricht sich mit dem Elektriker und dem Klempner und durchstreift nach der Arbeit die Möbelhäuser und bringt Kataloge und Stoffmuster mit. Sie kauft helle, zum Parkett passende Schränke und Regale aus Birken- oder Kirschholz, massive aber leichte Rattansessel und ein großes Sofa aus dunkelbraunem Leder, genarbt. Teppiche will sie keine, nur hier und da einen Kelim in dezenten Farben. Abends kocht sie für ihn, der jetzt mit jeder Stunde geizen muss, und er liebt ihr schlichtes Repertoire: immer wieder Risotto oder Quiche und Salat, immer wieder »Festtagssuppe« aus der Dose. Sie stellt Blumen in sein

Weitere Kostenlose Bücher