Feuer brennt nicht
nichts anderes mehr denken als an Sex, tagein, tagaus. Und wer immer nur daran denkt, denken muss vor lauter Frust, der ihm oft nur Auswege in die Aggression bietet, interessiert sich nicht mehr für die anderen Bereiche des Lebens und lässt dem Unheil seinen Lauf und den Politikern und Generälen freie Hand. Und in dem coolen Gesicht des jungen Soldaten, der sagt, er tue nur, was sein Präsident ihm befohlen habe, werde es immer tun,und dann sein Magazin in einen Toten entleert, ist genau jene trotzige Beschränktheit und atemberaubende Unerbittlichkeit, die man schon fühlt, wenn man am Kennedy-Airport ins Taxi steigt.
Der einzige Lichtblick bleibt dann oft der Humor der Schwarzen. »Deutschland?«, fragte ihn einmal der Fahrer. »Wie spät ist es jetzt in Deutschland?«
»Ungefähr sechs Uhr«, antwortete Wolf.
Da lachte der Mann und schüttelte den Kopf. »So früh? Menschenskind, ihr seid doch bescheuert!«
Bücher beschützen. Dem Leben, das nachfühlbar erzählt wird, kann für kurze Zeit das Diffuse und Bedrohliche genommen werden. Nicht zuletzt rührt die Geborgenheit im Buch auch daher, dass gebannt ist, was den Lesenden ängstigt oder beunruhigt; gefesselt in der Formulierung, hat es keine Macht mehr über ihn, jedenfalls für die Dauer der Lektüre. Nur das Glück fühlt sich nicht wohl im Text, das Glück muss fliehen. Ein Reh ohne Scheu, das riecht immer gleich nach Disneyland.
Es bleibt immerhin ein Trost, dass das Leben wunderbarer ist als jede Literatur: Bei ihren Erkundungsgängen durch den Stadtteil waren ihnen ein paar Neubauten aufgefallen, nicht weit entfernt vom Goldmannpark, seinen gewaltigen Platanen, und Wolf, dem die geschmackvollen Zweifamilienhäuser mit den Vorgärten in der krumm gepflasterten, von Eichen und Kastanien gesäumten Straße gefielen, sagte beiläufig: »Hier wäre ich auch gern eingezogen.«
Später dann, als die Kündigung geschrieben ist und Alina ihn an den Computer winkt, gibt es eine einzige Wohnung im ganzen Bezirk, die von der Größe her in Frage kommt. »Ökologische Bauweise«, steht in der Annonce. »Nur für Nichtraucher!« Sie rufen an, vereinbaren einen Besichtigungstermin, und weil ihnen die Straßen noch einigermaßen fremd sind, nehmen sie einen Stadtplan mit und befinden sich plötzlich nicht nur in dem Teil Friedrichhagens, auf den Alina seinerzeit mit dem Finger tippte, sie stehen auch vor dem ockerfarbenen Neubau mit den dunkel gebeizten Fensterläden, der Wolf vor Wochen so gut gefallen hat. Drei Zimmer sind darin zu vermieten, klein, doch sehr apart; das geölte Parkett schimmert samtig im Abendlicht. Die Heizung liegt verborgen hinter lehmverputzten Wänden, zwischen denen sich die Luft deutlich anders artikuliert, freundlicher, und die Eichenholztreppe im Innern, eine Spirale bis unters Dach, gibt der klug geplanten Wohnung mit der kleinen Küche und dem geräumigen Bad eine eigentümliche Spannung, als wäre sie ein Haus im Haus. Sie hat einen schmalen Balkon zwischen den Alleebäumen und einen weiteren, höher gelegenen an der Südseite, von dem man über Firste, Remisen und Erkertürmchen bis zum See blicken kann, und die Vermieter sind – fast schämt er sich für die Erleichterung, die er empfindet – Westler. Sie wohnen im Parterre, ein Paar in Alinas Alter, ursprünglich aus dem Frankfurter Raum.
Der Preis ist korrekt, vielleicht sogar entgegenkommend, und dennoch höher als in der vergifteten Mansarde, was in Wolf eine leise Verzagtheit auslöst. Überseine Verhältnisse zu leben ist ihm ein Gräuel; es würde seinem Dasein und der Arbeit den freien Atem nehmen, die Wahrhaftigkeit auch, davon ist er überzeugt. Andererseits könnte es dem Schicksal auf die Sprünge helfen, hat er doch mehr als einmal im Leben erfahren, dass sich alles wirklich Wichtige seinen Wünschen gemäß fügt. Trotzdem gerät er immer wieder in eine Bedenklichkeit, die er bei einer Romanfigur enttäuschend kleinlich finden würde, nicht der Rede wert, und dann bleibt ihm nur der zähneknirschende Trost, dass seine Sorgen letztlich so etwas wie ein dunkler Optimismus sind: der Zunder der hell aufschießenden Freude über das Geglückte …
Sie unterschreiben den Mietvertrag, und wieder hält das geblümte Lastauto vor der Tür, und Herr Schmischuh mustert die Wohnung und wundert sich kaum, dass jetzt noch weniger Sachen zu transportieren sind; dieweil seine Männer sich abschleppen mit den Möbeln und Kisten, trägt er eine japanische Papierlampe zum Wagen
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