Feuer brennt nicht
einem kurzen braunen Fell, das schimmert wie sehr fein gemahlener Kaffee, und als er zum ersten Mal den Kopf durch den Türspalt schiebt und Wolf ansieht, ist der von Büchern und Papierstapeln vollgestopfte Raum mit der alten Gitarre in der Ecke für immer verwandelt.
Eine stille, irgendwie kindliche Weisheit, ein Fluidum aus Kraft und Traurigkeit geht von ihm aus, und während Alina ihre Jacke aufhängt im Flur, legt sich der Hund flach auf den Bauch und rutscht langsam, in kurzen Schüben, auf ihn zu. Die Krallen der feingliedrigen Pfoten kratzen leise, der Schwanz peitscht über das Parkett, Staubflocken wirbeln unter dem Schrank hervor. Nach Wald riecht er, nach feuchter Erde und Gras, die Muskeln zucken unter dem Fell, und als Wolf sich hinabbeugt, ihn schnuppern lässt an seinen Fingern und ihm vorsichtig den Handrücken zwischen die Ohren legt, drückt er ihm die Stirn entgegen und schließt einmal kurz die Augen. Dann springt er auf, verliert vor Erregung ein wenig Urin und dreht sichbellend um sich selbst. Es ist ein überraschend heller und junger Laut, der widerhallt im Korpus der akustischen Gitarre, und Alina lehnt sich in die Tür und sagt: »Na prima, dann geht mal zum Metzger.«
Was immer sich erfüllen mag, wenn frühere Geliebte am Bildrand erscheinen, es wird überschattet von Melancholie. Die Nummer auf dem Display ist dieselbe, doch die Stimme hat sich geändert; auch Charlotte wird fünfzig, und im Gegensatz zu früher, als ein psychologisch fundierter und darum etwas selbstgerechter Feminismus und der vehemente Wille zu beruflichem Erfolg dem Klang etwas Scharfkantiges und manchmal leicht Krächzendes gab, hört sie sich jetzt dunkler an, wärmer auch, von Erfahrung grundiert. Seit gut anderthalb Jahrzehnten richtet er sich stets mit einem inneren Ruck auf ihre Unter- oder Zwischentöne ein, sobald sie anruft; doch an dem Tag klingt sie erstaunlich gelassen, ohne Arg, und obwohl in ihrem gedehnten »Na?« auch ein Hauch von Vorwurf zu spüren ist, ein unausgesprochenes »Warum hast du dich so lange nicht gemeldet?«, kommt ihm das Timbre jetzt durchscheinender vor, wie Gaze über einer sehr verletzlichen Partie.
Sie hatten sich Mitte der achtziger Jahre kennengelernt, als er und Alina entzweit waren – eine kurzzeitige Trennung aus kaum noch nachvollziehbarem Anlass gleich zu Beginn ihrer Liebe. Charlotte, Schwester des Münchner Funkredakteurs, mit dem er ein »Nachtgespräch« über Bücher geführt und der ihn hinterherzum Essen eingeladen hatte, saß bereits an dem großen Stammtisch und diskutierte mit anderen Schriftstellern, und obwohl es auf Mitternacht zuging und er wusste, dass der Magen es ihm heimzahlen würde, aß er ein ausgiebiges Menü mit Dessert und Kaffee; das war ihm schon deswegen zur Gewohnheit geworden nach Veranstaltungen, weil er dabei kaum reden musste. Er nickte nur oder schüttelte kauend den Kopf und freute sich insgeheim auf sein Hotelzimmer und den Fernseher neben dem Bett.
Trotz der tropfenförmigen Ohrringe und der ausgepolsterten Schultern, die die Mode der Zeit vorschrieben, trotz des engen Lederrocks und der gefährlich spitzen Stiefeletten – Charlottes Eleganz hat wenig mit ihren Accessoires zu tun. Das schwarze, von einem guten Friseur geschnittene Haar ist sehr fein, und das schmale Gesicht mit den großen Augen drückt Klugheit und Empfindsamkeit aus, die schmucklosen Hände dagegen Kraft. Das erhobene Kinn scheint immer ein wenig über der Situation zu schweben. Am auffälligsten aber ist ihre Körperhaltung, der durchgedrückte Rücken, die sehr schmale, wie geschnürt wirkende Taille und der selbstbewusst herausgestreckte Hintern. Sie hat starke Oberschenkel, muskulöse, die Strümpfe zum Schillern bringende Waden, und in dem hüftbetonten Gang – sie holt ihm eine Serviette vom Tresen – ist Bestimmtheit und Richtung. »Wenn du willst, kannst du mich ficken«, scheint ihr immer etwas spöttisches Lächeln zu sagen. »Doch du musst schon was bringen.«
An dem Abend spricht Wolf kaum mit ihr, achtet aberauch darauf, sie nicht zu deutlich zu übersehen. Sie ist Psychologin und Kommunikationswissenschaftlerin, hat gerade promoviert und strebt eine Universitätslaufbahn an, einen Lehrstuhl für Geschlechterforschung. Ein damals gebräuchlicher Satz wie »Das ist natürlich eine Herausforderung für uns Frauen!« ändert jedoch nichts an ihrer beunruhigenden Erscheinung, und als sie einmal laut über einen Witz lacht, ist er erleichtert, ein
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