Feuer brennt nicht
nichts gesagt, einfach nur mit ihren Fingern gespielt, der gepflegten Hand, die er zarter in Erinnerung gehabt hat und die ein wenig zu groß ist für seinen Schwanz. Doch ist sie nicht die Frau, mit der man schweigen kann; durch und durch materialistisch auf eine Art, die geistig erscheint, weil sie intellektuell daherkommt, empfände sie das Schweigen als Manko, als Beleg für fehlende Vitalität und als Anfang von Langeweile. Dass sich darin Wesentlicheres artikuliert, würde sie bestenfalls als poetisch, schlimmstenfalls als mystisch abtun. Wer schweigt, hat nichts zu sagen und ist demnach uninteressant.
So stellt er ihr gelegentlich Fragen und versucht aufmerksam zu bleiben, auch wenn sie alles, was sie erzählt, mit einer entnervenden Wichtigkeit lasiert: Die Habilitation habe sie in Rekordzeit geschafft, nur eine Frau vor ihr sei schneller gewesen, in ihren Seminaren säßen die meisten Studenten, und auch ihre Vorträge in den Firmen seien stets überfüllt. Selbstverständlich übertreffe die Summe ihrer mühsam erkämpften Forschungsgelder alles bisher Dagewesene, eindeutig sei ihr Freund in Basel die Koryphäe schlechthin, was Teilchenphysik betrifft, und natürlich mache ihr der berühmte Intendant eines Fernsehsenders, für den sieein Gutachten erstelle, mehr als Avancen. »Und vorzeigbar sind Sie ja auch«, habe er beim ersten Briefing gesagt.
Die Durchschaubarkeit solcher Plusterungen trübt ein wenig sein Vergnügen an ihrer Erscheinung im gegenüberliegenden Spiegel, dem gemeinsamen Erwachsensein in nicht billigen Kleidern, das ihnen gut steht, auch wenn es ihm wohl immer noch an innerer Wahrheit fehlt. Aber dass Charlotte sich so kindisch aufspreizt, mag eine Überreaktion sein in dem Wissen, dass sie sich letztlich nicht viel mitzuteilen haben und es zwischen ihnen kaum mehr als die nackte Sprache der Körper gibt – lange, gut gebaute Sätze, fast nur mit dem Atem gesagt. Doch das will sie sich nicht eingestehen, noch nicht; auch die Wissenschaftlerin hat ein zwar ironisch bemänteltes, deswegen aber nicht weniger sehnsuchtsvolles Konzept von Liebe, das den Pastelltönen der Frauenzeitschriften entstammt, dem Geruch nach Romanze in den Parfümbeilagen.
Sie füttert Webster mit einem Stückchen Fleisch und lässt sich ausgiebig die Finger lecken, und ihre scheinbar beiläufigen, um einen Wimpernschlag zu langen Blicke in den Spiegel sagen Wolf, wie sich der weitere Abend gestalten wird. Doch sie braucht erst noch ein drittes Glas Wein und später auch einen Gin. Zwischendurch fragt sie ihn nach seiner Arbeit, seinen Büchern, und gesteht, wie stolz sie oft gewesen sei, wenn sie etwas über ihn in den Zeitungen gelesen oder im Rundfunk gehört habe. Das ist nicht nur ein Manöver, um zu sehen, ob er eitel reagiert – eine Schwachstelle, in die sie stracks hineingestochen hättemit dem Hähnchenspieß. So wie sie immer noch will, dass ihre greisen Eltern und die Geschwister stolz auf sie und ihre Leistungen sind, braucht sie es, stolz zu sein auf die, mit denen sie umgeht; das ist die Währung ihrer Traurigkeit. Aber weil sich ihm jede Vision im Text und jeder Text nach dem Druck gewissermaßen in Luft auflöst und er immer wieder vor dem Nichts steht, dem Neuanfang, kann es Stolz auf etwas Vollbrachtes nicht geben. Träge wie er ist, würde das sogleich Stillstand bedeuten. Doch sie will ihn partout für erfolgreich halten, und als er abwinkt und seine minimalen Auflagen erwähnt, scheint sie nicht zuzuhören; sie lächelt einen Bekannten an, der gerade das Lokal betritt, einen Kunstsammler, der angeblich schon mal ein Auge auf sie geworfen hat. Überhaupt strahlt sie viel an diesem Abend, entblößt ihre Zähne, auch wenn der Kellner nur einen Trinkhalm bringt oder schon wieder ein Rosenverkäufer an den Tisch tritt; sie verteilt ihr Lächeln wie kleine Tüten voller Blüten, was ihre Augen freilich immer müder und sie immer verlorener aussehen lässt, zumal es nicht bei einem Gin bleibt.
Und als sie ihm eine Hand auf den Oberschenkel legt und ihn mit dem kleinen Finger scheinbar versehentlich dort berührt, wo der Schatten der Tischplatte hinfällt, fühlt Wolf sich plötzlich beengt von Erwartungen, die er ihr unterstellt und die mehr meinen als das Bett und seine Phantasie darin. Vielleicht irrt er sich ja, aber im Tastenden ihrer Fragen nach seinen Plänen, seinem Schreiben und dem Alltag und der Wohnsituation mit Alina, die sie angeblich bewundert, weil sie esschon derart lange mit ihm
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