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Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
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aushält – sogar, wie oft sie miteinander schlafen, will sie wissen –, klingt bereits eine Sondierung an, ein leises Abklopfen ihrer Möglichkeiten jenseits dieses Abends, an dem ihre Hingabe dann einzuordnen wäre als Geschenk oder Investition. Und als er sie ablenkt von sich und wieder auf ihr Leben, ihre Beziehungen zu sprechen kommt, sagt sie denn auch: »Natürlich genieße ich es, zwei Männer zu haben, noch dazu so attraktive. Aber eine Sicherheit ist das nicht.«
    Die Eiswürfel in dem Drink klicken gegen ihre Zähne. Jetzt glühen ihre Wangen wirklich, und je mehr das Make-up leidet, desto erregender findet Wolf sie. Immer weniger hört er dem zu, was sie sagt; als chronischer Träumer hat er es perfektioniert, Aufmerksamkeit glaubhaft vorzutäuschen und halbwegs treffend auf Fragen zu antworten, die er gar nicht oder nur dem Tonfall nach verstanden hat. Aber so wie ihm mit fast fünfzig Jahren ein Song immer noch wichtiger, ja lebensnotwendiger ist als jedes angeblich gute Buch und wie ein Lied von Beth Gibbons oder den Babyshambles ihn wochenlang vor seiner eigenen Dunkelheit schützen kann, ohne dass er ein Wort versteht, so ist es mit der Stimme einer Frau, die er begehrt; was er ihr ablauscht jenseits der Sprache, stärkt ihn und will schweigend beantwortet werden, bestenfalls flüsternd. Oder mit obszönen Befehlen.
    Irgendwann geht sie zur Toilette und kommt neu geschminkt zurück, und er will schon nach seinem Sakko greifen, da tritt sie an den Tisch jenes Bekannten, eines dicken Glatzkopfes, um etwas mit ihm zu besprechen.Die Unterarme auf eine Stuhllehne gestützt, streckt sie ihren Hintern, an dem der Hosenstoff ein wenig glänzt, für alle Gäste sichtbar ins Lokal und lässt Wolf allein in der Ecke sitzen, fast eine Viertelstunde lang. Leicht verärgert winkt der dem Kellner, bezahlt die Rechnung und bittet um Wasser für den Hund; unter dem Flügel steht ein verchromter Napf. Dass sie sich so plump kostbar macht, findet er doch billig, und als Charlotte wieder auf das Sofa sinkt, ist ihre verführerische Aura momentlang fort. Nachzudenken scheint sie, die herbe Miene, mit der sie etwas in ihren BlackBerry tippt, sieht nahezu männlich aus; ein dünnlippiger Hagestolz. Doch dann drückt sie den Rücken auch schon wieder durch, zieht den Pullover über dem Busen straff und sagt mit einem vergnüglichen Funkeln im Blick: »Gestern habe ich mir ein kleines Brot gekauft, das heißt tatsächlich Single-Kruste!«
    Ihr Auto steht am Nollendorfplatz, und auf dem Weg dorthin kommen sie an mehreren Frauen in kurzen Röcken oder Hotpants vorbei, die in einem erstaunlich symmetrischen Abstand voneinander an der Bordsteinkante warten. Die langen Lackstiefel blitzen im Scheinwerferlicht, die Gehwegplatten glänzen wie Marmor, der Zigarettenrauch kräuselt sich blau in der warmen Luft, und Wolf legt den Arm um Charlottes Schultern. Obwohl ein wenig kleiner als er, ist sie doch zu groß für ihn und schreitet weiter aus auf ihren hohen Absätzen, wippender auch, so dass ihr Gehen, als staksten sie über holprigen Boden, kein gemeinsames werden will. Es wirkt sogar ein wenig lächerlich in dem Schatten der bezahlbaren Göttinnen, die sie trägeaus den Lidwinkeln mustern, und Wolf lässt sie wieder los. Doch greift er nach ihrer Hand, und als sie vor einer roten Ampel warten müssen, dreht sie sich ihm zu. Der Hund verschwindet im Gestrüpp.
    Die Luft scheint sie erfrischt zu haben, ihr Blick ist klar und klug wie vordem, und als er sie an sich zieht, hebt sie herausfordernd das Kinn und verengt die Augen wie eine Frau, die weiß, dass ihre Küsse Kostbarkeiten sind, die man nicht nebenher verschenkt; aber weil sie nach Gin riecht, mag er das nicht so ernst nehmen. Eine hell erleuchtete Bahn rattert über das Stahlgerüst unter dem Mond, und er beißt ihr vorsichtig in den Hals und umschlingt sie fester, diese unglaublich schmale Taille, die Achse ihrer Schmiegsamkeit. Zwar hält sie ihn noch hin, wobei sie spöttisch lächelt, doch als sie sich nicht weiter zurückbiegen kann und er seine Brust gegen ihre presst, ist sie es, die nach seinem Mund schnappt, langsam, mit gebieterischer Zärtlichkeit. Die Lider schließend, stöhnt er gegen seinen Willen auf und greift ihr ins Haar in dem jähen Verschmelzen, das ihm etwas von seiner Schwerkraft zu nehmen scheint und ihn ähnlich beglückt wie jenes tiefe Durchatmen nach dem Tod im Traum: Als würde er ausgefüllt werden mit sich selbst. Ganz ruhig erforscht

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