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Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
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ihre Zentrale ganz in der Nähe eingerichtet hat, aber was will man machen; wir sind ein freies Land.
    In allen Bereichen des Lebens scheint es immer nur um materielle Dinge zu gehen, und sogar in der Kirche wird erst über die eingegangenen Spenden und ihre Verwendung referiert, ehe der Gottesdienst beginnt. So tröstet man sich mit den Sonderlingen. Im Haus an der Ecke, einer bröckelnden Villa, der junge Birken aus dem Dach wachsen, hätten gut und gern drei Familien Platz. Die Säulen des Portikus stehen schief, und hinter den hohen Rundbogenfenstern in der Belle-Etage hängen zwar Gardinen, doch sollen sie wohl etwas vortäuschen; die Räume sind leer. Nur im Souterrain brennt ab und zu Licht, eine Stehlampe mit vergilbtem Schirm, und dann kann man ein verschlissenes Sofa und Berge von Büchern, Romanheften und Zeitungen auf dem Fußboden erkennen. Junge Katzen tollen dazwischen herum, und hin und wieder glüht eine Zigarette auf im hinteren, noch dunkleren Teil des Zimmers.
    Sein Bewohner, ein beleibter Grauschopf um die sechzig, ist selten ohne den hier üblichen Stoffbeutel zusehen; meistens klimpert Leergut darin, und obwohl er nie grüßt oder einen Gruß erwidert und sogar die Straßenseite wechselt, wenn sie ihm entgegenkommen, mag Wolf ihn auf den ersten Blick. Er scheint nicht zu arbeiten, sieht nicht fern und erhält niemals Besuch. Weil er meistens verwaschene Militärhemden trägt, nennen sie ihn den Grünen Mann, und er hat ja auch etwas von einem Außerirdischen in seiner bröckelnden Höhle, dieser stumme Asket in einer Nachbarschaft voller spachtelwütiger Bausparer, die der Zeit jede Gelegenheit nehmen, sich auszudrücken an den Dingen, und Samstag für Samstag die Schleifmaschine, den Schlagbohrer, den Rasenmäher, den Rasenrandschneider und die elektrische Heckenschere anwerfen, um sie nicht hören zu müssen, die Stille in ihrer Straße. Während der Grüne Mann in seinem verwilderten Garten sitzt und die Vögel mit Brot und Kürbiskernen füttert.
    Der Hausbesitzer ist er wohl nicht, dem Habitus fehlt das Beschränkte, von Bedenken und Sorgen Umgraute, das Eigentum in bürgerlicher Dimension verleiht; seine Freiheit scheint eine zu sein, die keinen Raum benötigt, und der immer etwas amüsierte Blick erinnert daran, dass Witz von Weisheit kommt. Aber vielleicht täuschen sie sich auch, vielleicht ist er einfach nur tumb, ein von der Verwaltung geduldeter Trockenwohner, dem der Schimmel zusetzt? Oder einer, der die Wende nie gewollt hat und nichts als Verachtung für Westler und ihre Lebensart empfindet? Jedenfalls ist es der Abend nach dem Restaurantbesuch, an dem die entnervte Alina es genauer wissen will. Sie hat denMann, der etwas an seinem Fahrrad repariert, wie immer gegrüßt und wie immer keine Antwort erhalten. Nicht einmal aufgeblickt hat er unter den Kirschbäumen, und sie stehen schon vor der kurzen Treppe zu ihrer Tür, da dreht sie sich noch einmal um und geht über die Straße, tritt vor den Zaun. »Entschuldigen Sie bitte«, sagt sie und lächelt gerade so viel, dass es nicht einschmeichelnd wirkt. »Darf ich Sie etwas fragen? Wieso grüßen Sie mich eigentlich nie?«
    Langsam richtet sich der Grüne Mann von seiner Arbeit auf. »Ich? Wieso?« Seine Stimme klingt erstaunlich jung, die Lider flattern, als wäre ihm etwas darunter geraten, und er zieht ein Tuch aus der Hosentasche, nur um es in die andere zu stecken. Fast schon könnte man Mitleid mit ihm und seinem schiefen Grinsen haben; er kratzt sich den Nacken. Doch Alina bleibt stehen, sieht ihn ruhig an, und nachdem es noch einen Moment lang so scheint, als suchte er nach einer Antwort, wobei der Blick etwas Stieres kriegt, streckt er plötzlich den Arm aus und zeigt mit dem Schraubenzieher auf Wolf in der offenen Tür. Die Spitze zittert. »Na, der da … Ihr Mann …« Tief holt er Atem, die Brust wölbt sich vor. »Der grüßt mich ja auch nie!« Und nimmt sein Rad und verschwindet im Haus.

3
Nur Flüchtiges blüht
    »Wenn ich töte«, sagt der junge amerikanische Soldat im Fernsehen und hebt seine Waffe mit beiden Händen vor die Kamera, »wenn ich abdrücke und treffe und sehe, wie diese Schweine fallen, fühle ich mich mächtig wie Gott.« Hinter ihm ziehen Staubfahnen durch die Wüste, Flugzeugtrümmer rauchen, und die Rohre ausgebrannter Panzer ragen in den Himmel, dessen Blau darüber zu staunen scheint, wie selbstgewiss ein verödetes Herz daherkommt. Denn Gott fühlt sich nicht mächtig, Mr. Präsident, Macht

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