Feuer brennt nicht
ihre Anwesenheit ihm peinlich ist, dass er sich geniert vor seiner eigenen Frau: er schlingt ein Handtuch um die Hüften, bevor er aus dem Bad tritt und sich Boxershorts aus dem gemeinsamen Wäscheschrank nimmt.
Schon nach wenigen Monaten des Zusammenwohnens sind ihre Mienen manchmal so, als lebten sie den ganzen Tag in abgestandener Luft – und dafür rächt er sich nicht selten mit einer neuen Schärfe in seinem Blick, einer Dioptrie der Unbarmherzigkeit; die randlose Brille, die er gelegentlich trägt, hat sie immer schon eingeschüchtert. Ihre Haare in seinem Kamm, der BH an der Türklinke, die Wattestäbchen voller Wimperntusche, die neben den Abfalleimer gefallen sind, zu viel oder zu wenig Make-up, eine wirre oder zu gepflegte Frisur, eine schlechte Körperhaltung oder eine übertrieben aufrechte, nichts lässt er unkommentiert; penibler, als er letztlich sein will, treibt er sie in immer neue Erklärungen und Rechtfertigungen und fühlt sich nicht einmal schlecht, solange sie nicht weint. Denn er glaubt ja, schon entschuldigt zu sein, indem er sich selbst abscheulich findet, was er durchaus tut, immer wieder. So drückt er sich davor, etwas zu ändern.
Er zupft Flusen vom Teppich oder wischt den Staub von den oberen Türkanten ab; er steckt Geldscheinezwischen das Obst in der Schale, damit sie besser riechen, und dass Alina seine Vorstellungen von Sauberkeit und Ordnung gerade so viel belächelt, dass er sich nicht als Zwangsneurotiker fühlen muss, gehört zu ihrem angeborenen Takt. Sie blickt kaum auf von ihrer Arbeit. Doch als er einmal fehlende Zahnstocher und die falsche Reihenfolge der Gewürzgläser im Küchenschrank bemängelt, ist auch ihre Geduld am Ende, und sie rauft sich die Haare und schreit: »Herrgott noch mal, was willst du von mir? Ich muss doch auch hier leben!« Ihre Stimme klingt vor Verzweiflung schrill, die Augen werden feucht, die Hände zittern, und nun ist sein Erschrecken tief. – Seelengröße, noch so ein Wort. – Aber statt zu ihr zu gehen, sie zu umarmen und sich bei ihr zu entschuldigen, schließt er sich in seinem Zimmer ein mit einem Flachmann Schnaps.
Das beklemmende Gefühl, wider besseres Wissen dageblieben zu sein, sich jahrzehntelang arrangiert zu haben mit einem inhumanen und knebelnden System, lässt sich nicht unbegrenzt lange aushalten. Es verklumpt zu grimmiger Resignation, zu bitterem Trotz und rechthaberischer Kälte. Ein Grund vielleicht, warum diejenigen, die zu Mauerzeiten bei Todesgefahr geflohen sind oder nach endlosen und entwürdigenden Prozeduren oder gar Einkerkerungen ausreisen konnten, keine Nähe mehr finden zu denen, die geblieben sind bis zum Schluss. – Doch was Wolfs Vorbehalte gegen die Menschen im Osten betrifft: Noch fast jede persönliche Begegnung mit einem derhier lebenden hat sie zunichte gemacht, und immer wieder ist er verblüfft über die Freundlichkeit derer, denen er schon aus Gewohnheit oder aufgrund des Augenscheins das Gegenteil unterstellt hat. Dabei ist er oft nur zu schnell in vielem, jedenfalls für manche Menschen hier; denn die Überwindung ihres eingeborenen oder doch zur zweiten Natur gewordenen Misstrauens allem und jedem gegenüber – Relikt der einstigen Überwachung und Bespitzelung wohl – braucht genau die Zeit, die der eilig nach dem Weg fragende Westler nicht hat; also dreht er sich auch schon wieder um und findet die Leute dumpf. Tatsächlich aber hat sich eine ganz marktfremde Menschlichkeit und eine Bereitschaft zur Bejahung des Anderen erhalten; man reagiert nicht unfreundlich, sondern vielmehr verzögert freundlich. Und dann mit einer Wärme, die beschämt.
Nur in Geschäften und auf Ämtern scheint er unausrottbar zu sein, der Geist des bisherigen Staates. Zu den Dienstleistenden seinerzeit gehörte neben einer selbstverständlichen, um keinen möglichen Verlust der Anstellung besorgten Unaufmerksamkeit oder gar Schlampigkeit offenbar auch ein gewisses Maß an Herablassung, das niemand zu kritisieren wagte und das fortwest bis zum Tag. Da ist etwa die Frau auf der Passstelle, die er nicht verstanden hat, akustisch nicht, und die auf seine Nachfrage sagt: »Spreche ich nicht deutsch?« Oder die Praxishilfe, die ihm Blut abnehmen will, ohne die Einstichstelle zu desinfizieren, und bei seinem empörten Aufstehen mit verengten Augen erwidert: »Wieso? Die Nadel ist steril. Das mach ichseit fünfundzwanzig Jahren so, was soll denn daran falsch sein? Haben Sie was an der Haut?«
Die Postangestellte, die
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