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Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
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jähe Armhochreißen und schnelle Winken mit hervorgekehrter Handfläche, als wischte sie über den Außenspiegel ihrer Einsamkeit. Er bürstet Webster, der übrigens bei ihnen bleiben wird. Seine Besitzerin hat sich in den Leiter der Sprachenschule in Venezuela verliebt, ist schwanger und will dort leben, und Alina ist überglücklich. Sie kauft ihm ein neues Halsband, ein schlichteres, ganz ohne Nieten, und meldet ihn beim Finanzamt an.

    Lebenstüchtigkeit, auch so ein Wort. Selbst wenn die poetische Sicht der Dinge zwangsläufig eine gewisse Ineffizienz mit sich bringt, der Alltag will gemeistert werden und lässt ihn nicht selten schräg dastehen, auch und gerade vor seiner Frau. Was für ihn komplexe Probleme sind – Bankangelegenheiten, Behördengänge, Verhandlungen mit den Vermietern oder das Umtauschen von Fehlkäufen –, erledigt Alina mit einer Beiläufigkeit, die ihn immer wieder kleinlaut macht.Leicht schwingen ihre Rocksäume, entschlossen geht sie ans Telefon, und als er sie einmal fragt, woher sie den unermüdlichen Optimismus nimmt, das heiter Zupackende allenthalben, während ihm oft schon beim bloßen Gedanken an den kommenden Morgen und seine Anforderungen das Federbett schwer wird wie Beton, streicht sie ihm über die Stirn und sagt: »Das Leben und die Freude daran sollten die Umstände bestimmen, Süßer. Nicht die Umstände das Leben.«
    Kaum spürbar zunächst, wie eine minimale Veränderung der Körperhaltung oder ein wenig Übergewicht, hat sich eine Abhängigkeit von ihrer Effizienz eingeschlichen. Natürlich weiß er zu schätzen, wie angenehm sie ihm den Tag gestaltet, wie fürsorglich sie trotz eigener Arbeit alles fernhält von ihm, was seinem Schreiben und der dazugehörigen Muße abträglich wäre. Still genießt er den Schutz ihrer Zuneigung, gerade an einem Ort, an dem Menschen nur paarweise vorzukommen scheinen, mit Trauring, und wo um jeden Einzelgänger oder Sonderling, zumal jeden männlichen, sobald er die Kreise der jungen, von Sorgen kühl berauschten Mütter kreuzt, die Aura des potentiellen Kinderschänders aufglimmt. Für seriös und situiert gehalten zu werden in diesem Terrarium des Normalen, schreibt er Alinas Gegenwart zu, und er drückt unwillkürlich den Rücken durch, wenn ihm Frau Seidenkrantz, die gemeinsame Friseuse, alle paar Wochen nachruft: »Und grüßen Sie Ihre Frau!« Besonders in Phasen intensiver Arbeit, Angst vor Unzulänglichkeit im Nacken oder die Uhr, hätte er ohne sie das Gefühl, keine Haftung mehr zu haben auf dem krummenPflaster und zu stolpern über jeden bösen Blick. Wenn sie dann auf ein paar Tage zu ihren Eltern oder zu einer Freundin in die Uckermark fährt, verlässt er nicht eher das Haus, bis alle Vorräte aufgegessen sind.
    Doch nun, während sie die Wände und Spiegel mit Zetteln voller Fußnoten und Zitate spickt und unglaubliche Bücherstapel aus der Staatsbibliothek heranschleppt, während sie still konzentriert an ihrer Dissertation schreibt und er die letzten Korrekturfahnen liest, liegen sie nicht nur Nacht für Nacht nebeneinander, wie gewöhnlich, sie sind auch den ganzen Tag zusammen, und damit ist offenbar eine Grenze überschritten; was dem Anschein nach innige Nähe ist, wird zur beklemmenden Distanz, jedenfalls für ihn. Die Wohnung kommt ihm trotz der zwei Etagen enger vor, das Bett schmaler, und er wird einsilbiger und weicht in einen anderen Tagesablauf aus. Immer öfter arbeitet er bis in die Morgenstunden oder sieht fern, um sich nicht gemeinsam mit ihr hinlegen zu müssen; immer seltener frühstückt er mit ihr, um sich ihr verschlafenes Gesicht und ihr seine Misslaunigkeit zu ersparen, das graue Schweigen.
    Die Details der Zweisamkeit, der Geruch von Nagellackentferner, der Anblick der wasserfleckigen Stapel von »Elle« und »Vogue« und »Cosmopolitan« neben der Waage, die überall herumliegenden Einkaufslisten, der von Katalogen verstopfte Briefkasten, Alinas unzählige Schuhe im Flur, der ganze Hygienekram in rosa oder frühlingsgrünen Kartons machen ihn zunehmend melancholischer. Das Unausgesprochene nimmt zu, und im Ausgesprochenen bleibt stets ein schaler Rest.Auch ihre Schönheit geht ihm nicht mehr nahe, oder doch immer öfter nur, wenn er eine Weile beruflich verreist war. Dann ist seine Begierde heftig, aber auch schnell wieder dahin; er täuscht Erschöpfung vor oder Stress; er kauft sich eine Schlafcouch, um in seinem Arbeitszimmer übernachten zu können, und eines Abends fällt ihm auf, dass

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