Feuer brennt nicht
sich lang und breit mit einer Kundin über Strickmuster ausgetauscht hat, schließt den Schalter vor den letzten beiden Wartenden; der Schuster, dem er die kürzlich erst reparierten und schon wieder kaputten Schuhe bringt, zuckt nur mit den Achseln und sagt allen Ernstes: »Na, wenn Sie so viel laufen …«, und der Wurstverkäufer, der mit ölverschmierten Fingern ein paar Knacker vor ihn hinlegt, knurrt nach seinem Kopfschütteln: »Det is nur Bratfett, Mann; ich mach da hinten Bouletten. Oder denken Sie, ich reparier mein Auto?« Und als Wolf ihn fragt, warum er sich dann nicht die Hände wäscht, bevor er ihn bedient, ist er natürlich der übliche Besser-Wessi, den die anderen Kunden in der Schlange aus den Augenwinkeln mustern, während sie ihre Stoffbeutel auf dem Rücken wringen.
»Aber die Dienstleister waren doch die Könige im Osten«, sagt Frau Seidenkrantz, die Friseuse, eine zarte Frau Ende vierzig, die allergisch geworden ist gegen die Färbe- und Dauerwellenmittel, mit denen sie nach der Wende arbeiten musste, und darum nur noch Haare schneidet. Ihr Meisterbrief mit dem eingeprägten Wappen der DDR hängt neben dem Spiegel. »Gerade die, die heute am wenigsten verdienen, die Droschkenfahrer und Friseure, kriegten bei uns am meisten. Glauben Sie mal nicht, so ein Graf in seiner Brettertaxe wäre nach Birkenlohe gefahren, wo ich wohne; da hätte er ja leer zurück gemusst. Es sei denn, gegen Westgeld … Und mein Terminkalender war voller als der von demHonecker; wenn ich aus dem Geschäft kam, wartete schon eine Menschenschlange vor meiner Haustür. Ich hatte grad mal Zeit, die Katzen zu füttern, und dann ging’s privat weiter; die Trockenhaube wurde nicht kalt. Oder nehmen Sie meine Tante Gerda, Toilettenfrau im Bahnhof Friedrichstraße. Die ist freiwillig vierzehn bis sechzehn Stunden täglich schubbern gegangen, jahrzehntelang, und hat jede Nacht einen Einkaufsbeutel voll Trinkgeld heimgebracht, die Hälfte Devisen. Als ich ihr später einen Job bei mir anbot, sauber und ohne Gestank, schüttelte sie nur den Kopf. Die wollte nichts anderes. Zwei Häuser hat sie sich gekauft und ist mit ihrer eigenen Jolle übern Müggelsee geschippert – als Putze im Klo.«
Es gibt erstaunlich viele Friseursalons und Kosmetik- oder Nagelstudios in Friedrichshagen, und aufgrund der Konkurrenz sind die Preise für einen Haarschnitt so, dass man sich unbescheiden vorkäme, dafür noch Qualität zu erwarten. Alles geht rapp-zapp, und auch wenn man beim Verlassen des Ladens ganz passabel aussieht – spätestens nach der ersten Wäsche fällt die Frisur wieder in sich zusammen und erinnert verdächtig an FDJ. Und den Gedanken, man möge doch das Doppelte oder Dreifache verlangen für einen besseren, mehr in Ruhe ausgeführten, annähernd den Proportionen des Kunden entsprechenden Haarschnitt ohne Macken und Stufen, lässt man als Westler besser unausgesprochen. Immer noch füllt die Dekadenz, die in der vermeintlichen Eitelkeit liegt, den Spiegel mit giftigen oder spöttischen Blicken. Auch für Frau Seidenkrantz gibt es neben einem beiläufigen »Wie immer?«kaum mehr Varianten als »kurz« oder »nicht so kurz«, wobei letztere ihr mehr Konzentration abverlangt, als sie aufbringen kann, während sie redet. Und das tut sie unaufhörlich, seit sie weiß, dass er Schriftsteller ist.
Trotzdem geht er gern zu ihr, glaubt er doch, in ihrem Gesicht etwas zu erkennen, das ihm so oder ähnlich schon öfter aufgefallen ist bei Frauen, die die Jahre vor der Wende in einem Zustand innerer Reserve und unausgesprochener Ablehnung dem Staat gegenüber verbrachten: Sensibel und auf eine Weise unpolitisch, die er nur existenziell finden kann, strahlt sie die Würde derer aus, die weder zu sozialistischen noch zu kapitalistischen Zeiten die sogenannte Wirklichkeit mit der Wahrheit verwechseln würden. Sie scheint stets etwas scheuer, als sie tatsächlich ist, und hat dabei durchaus Witz; während ihre Finger flink durch seine Haare gleiten, blitzt in manchen Äußerungen eine kesse Subversion auf. Dennoch lächelt sie selten; das zarte Gesicht mit dem perlartigen Teint, den dünnen, aber nicht unsinnlichen Lippen und den etwas starren Augen sieht noch traurig oder melancholisch aus, wenn sie Heiteres erzählt.
Ihr Mann, ein Ingenieur, der sich auf Brunnenbau spezialisiert hat, ist die meiste Zeit im Ausland, und sie kümmert sich in jeder freien Minute um ihren Garten und die große Veranda voller Zierpflanzen. Auch einen Teich
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