Feuer brennt nicht
eine Form, und es ist völlig in Ordnung, ein Pferd zu umarmen oder einen Baum mit Liebling anzusprechen. Und darum wollte er Schriftsteller werden.
In Richard Sander nun begegnet ihm die Verkörperung seiner Sehnsucht, die ja hauptsächlich eine nach Freiheit ist, nach Weite, und da es für lange der erste und einzige Autor bleibt, zu dem er Kontakt hat – sie treffen sich schon bald regelmäßig, wenn er in Berlin ist –, prägt sich alles von ihm Gehörte und Gelernte tiefer ein, als es seiner Wahrheit zusteht. Dennoch hätte er den Wunsch nach einem ersten eigenen Buch kaum durchgehalten ohne Richards Ermutigung,seinem zwar etwas angetrunkenen, aber stets auch wirkungsvollen »Du musst schreiben!« Wolf, der noch heute entweder keinen Blick für sich hat, oder – was in seinem Fall dasselbe ist – einen zu genauen, nimmt diesen knappen, zwischen sachlicher Feststellung, hoher Schicksalhaftigkeit und schlichtem Imperativ glänzenden Satz des Erfahrenen wie eine kostbare Münze entgegen, die er in sein Jackenfutter einnäht, um in zaghaften Momenten mit den Fingerspitzen darüber zu streichen, verstohlen.
Er will schreiben, glaubt aber immer wieder, dass er es nie können wird, weil ein Geheimnis dazugehört, von dem er schon aufgrund seiner Herkunft ausgeschlossen ist, seiner dürftigen Bildung, die alle Erfahrung nicht wettmacht. Denn was nützt es, etwas zu erzählen zu haben, wenn man es nicht gestalten kann. Doch neben seiner Hilfe in handwerklichen Dingen, die hauptsächlich darin besteht, ihm Sentimentales auszutreiben, indem er Hohlräume abklopft und Adjektive streicht, bleibt es die ernsthafte und gleichzeitig legere Art, mit der Richard ihm vorlebt, dass letztlich alles eine Frage der Beharrlichkeit ist und auch in der Kunst nur mit Wasser gekocht wird, die ihn immer wieder ermutigt. »Und jetzt gehen wir essen«, sagt er, nachdem sie Wolfs erste Vers-Sammlung durchgesprochen haben. »Das Mysterium kommt dann beim Schnaps.«
Er lebt in einem großbürgerlichen Haus in Charlottenburg, und der Flur seiner Wohnung – jedenfalls der Bereich, den man von der Schwelle aus einsehen kann – ist bis unter die Decke tapeziert mit Plakaten eigener Ausstellungen, Lesungen undBuchankündigungen, was Wolf zunächst nicht verdächtig erscheint. Er stellt sich vor, dass es üblich oder gar geboten sei in Künstlerkreisen. Es gibt einen Raum, in dem Richard schreibt, und einen, in dem er zeichnet, beide voneinander getrennt durch ein Regal voller eigener Publikationen, erstaunlich vielen; handelt es sich um Anthologien, stecken Zettelchen da, wo sich sein Beitrag befindet. An den Wänden des riesigen Berliner Zimmers hängen afrikanische Decken, geschnitzte Masken und Radierungen in Silberrahmen, die meisten vom Hausherrn selbst, und gelegentlich finden hier kleine Feste statt, mit badischen Weinen und Eintöpfen und Bouletten. Oder es werden Vorträge gehalten und moderierte Gespräche geführt, bei denen man zwischen den wenigen Möbeln auf dem Parkettboden sitzt, wie in den sechziger Jahren. Richard, dem viele ein Talent zur Freundschaft nachsagen, dessen Umarmungen mit dem obligatorischen »Mein Lieber …« aber auch etwas Vereinnahmendes haben, schart gern junge, meistens gutaussehende Poeten, hagere FU-Dozenten, schweigsame Maler und den einen oder anderen Feuilleton-Star oder Schulbuchautor um sich, und neben der Bekanntschaft mit ihm scheinen alle drei Dinge zu verbinden: der Wunsch nach einer behaglichen Andersartigkeit, einer Kuschel-Boheme, der Alkohol bis in die höchsten Prozente und der Hang zu Frauen, die nicht wehtun – strohhaarige, in weites Zeug gekleidete Sozialpädagoginnen oder Jazz-Liebhaberinnen, deren ehemaliges Leuchten sich tief in das verrauchte Herz zurückgezogen hat.
Auch Wolf liest hier zum ersten Mal aus seinen Texten– mit fahler Stimme, zitternd bis in die Manuskriptecken hinein und vor Scham so schnell, als wollte er vor dem drohenden Verständnis der Zuhörer fliehen. Ihre stille Aufmerksamkeit macht ihn einsamer, als er es je war, misstrauischer auch; alle Bilder klingen plötzlich nur noch nach Papier, in jeder Assonanz oder Alliteration blitzt seine Eitelkeit auf, jede Pointe ist schon deswegen fade, weil sie Pointe sein will, und vor dem kultivierten Kopfnicken und dem gelegentlichen Seufzen oder Räuspern hier und da kommt er sich vor wie ein nacktes Nichts, das seine Kirmes-Tätowierungen präsentiert. Das Schweigen nach der Lesung ist ein Loch ohne Boden; nur
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