Feuer brennt nicht
vielleicht nicht sehr kraftvoll klingt, in der es aber eine feine Silberkante gibt, schimmernd vor Wachheit und Intelligenz, glaubt er sie jetzt wahrzunehmen, und als der Mann ihn nach Hundert-Gramm-Papier fragt,damit das schmale Buch etwas dicker erscheint, ist der Blick, mit dem er ihn über den Brillenrand ansieht, einen Lidschlag lang zumindest nicht unfreundlich.
Also überwindet Wolf, der zum ersten Mal im Leben einem Dichter gegenübersteht, seine Hemmungen und versucht zu formulieren, wie dessen Texte ihn angesprochen und die Poesie und die Hellsicht darin ihn entzückt haben, was aber nur Gestammel wird, als wollte er seinen Jubel buchstabieren. Und während das Manuskript Blatt für Blatt durch den Automaten gezogen wird, hört der andere ihm zwar aufmerksam und ohne jedes Zeichen von Eitelkeit zu; allerdings drückt seine Miene eine milde Skepsis aus, und auch die Körperhaltung – einen Ellbogen auf dem Verkaufstresen, eine Hand in der Hosentasche und den Blick bei gelegentlichem Nicken zu Boden gerichtet – kommt Wolf einschüchternd professionell vor. Alles an ihm scheint zu sagen: Schön und gut, aber lassen Sie das Wunderbare in der Bibel. Es hat keinen Sinn, von Versen zu schwärmen. Über Verse muss man reden wie über einen wackelnden Stuhl oder einen gut gebauten Tisch; Verse sind Sitzfleisch plus Flausen plus Handwerk und haben brauchbar zu sein, mehr nicht. Und Genie, junger Mann, hat jeder mal. Genie ist Kleingeld.
Er nimmt die Brille ab, nagt an einem Bügel. Hellblau die Augen, fast aquamarin. Nach Wein riecht er, nach Rauch und Terpentin, unter den Fingernägeln ist der Staub von Kreiden, und das Freie, das von ihm ausgeht, und die Lebens- oder Welterfahrung, die in den knappen Äußerungen aufblitzt, beengen Wolf mit jedem Herzschlag mehr in seiner Angestellten-Existenz,so dass es umso atemloser aus ihm hervorsprudelt. Zudem will er seine Vorurteile wiedergutmachen an dem Mann, der wie ein Bote aus einer Sphäre kommt, in die er sich ja hineinwünscht, und bei dem er erste Zeichen von Unduldsamkeit zu sehen glaubt. Die Kieferknochen zucken, die Brauen stoßen über der Nasenwurzel zusammen, und dann blickt er auch schon auf die Uhr und zieht ein Portemonnaie aus der Tasche.
Draußen beginnt die Fütterungszeit; halbe Schweine werden auf Schubkarren gewuchtet, Vögel fliegen auf und prallen ab von den Drahtmaschen unter dem Himmel, Löwen überbrüllen die Ansage auf den Bahnsteigen, und während sich der Sinn seiner Sätze vor der nun wieder kühlen, fast vornehmen Miene des Schriftstellers in nichts aufzulösen scheint, ist die letzte Seite des Textes kopiert, so dass Wolf in leise Panik verfällt, ein inneres Flattern und Rauschen, und beschließt, sein Geheimstes darzulegen und zu bekennen, was er bisher nicht einmal seiner Freundin anvertraut hat. Aber da ist er von dem anderen längst durchschaut. »Ja, ja«, sagt er und rafft die Blätter aus dem Fach. »Ich verstehe. Schicken Sie mir mal, was Sie schreiben, Gedichte, nehme ich an. Vielleicht kann ich etwas für sie tun.« Dann legt er einen Geldschein auf den Tresen, drückt die Tür mit der Schulter auf und fügt bei erhobenem Zeigefinger hinzu: »Aber nur, wenn sie gut sind!«
Ein Schriftsteller zu sein, niemandem und nichts verpflichtet als der Schönheit, und mit poetischer Lizenz zu arbeiten, wann und wo und wie viel man will – das war für Wolf, der noch nichts wusste von der inneren Notwendigkeit eines Textes, der Tyranneides Kunstzwangs oder der Infamie des Betriebs, lange verlockender als das Schreiben selbst. Seit seinem vierzehnten Jahr arbeitete er um des Geldes willen in verschiedenen Berufen und Zusammenhängen, die ihm alle immer dasselbe sagten: Wehe, du kommst zu spät. Wehe, du mauerst zu langsam. Wehe, du gehst zu zeitig. In den Augen seiner Lehrherren, Vorarbeiter und Meister war er zudem selten richtig im Kopf: ein Geistesabwesender, der sich schon die Finger quetschte, wenn er einen Zollstock auseinanderklappte; ein Idiot in der Wolke, der in der Mittagspause, wenn alle ihre Bildzeitungen oder Sankt-Pauli-Nachrichten hervorholten, in Reclam-Heften blätterte. Doch auch wenn viele Bücher mehr als sieben Siegel für ihn hatten und er sich das Verständnis mancher Texte einbilden musste – die Literatur war die erste und einzige Autorität in seiner Jugend, die ihm sagte: Du spinnst nicht ! Du liegst richtig mit deinen Träumen! Das Leben ist kein Fertighaus, das Leben erwartet etwas Einmaliges von dir,
Weitere Kostenlose Bücher