Feuer brennt nicht
in ihrer Stimme, und manchmal lächelt sie wie erlöst. Belangloses redend, liegen sie nebeneinander, bis der Schweiß getrocknet ist, aber wenn er sich nach einer Stunde anzieht – stets achtet er darauf, vor ihr in den Jeans zu sein –, verabschiedet sie ihn meistens schon wieder einsilbig und kühl, förmlich fast, wobei sie bereits irgendwelche Unterlagen korrigiert oder etwas in den Computer tippt. Das war Punkt sechs auf der Agenda, scheint sie ihm damit sagen zu wollen, ficken mit Wolf. Oder sie telefoniert mit einer Freundin oder einem der anderen Männer, wobei sie niemals verschweigt, dass er noch bei ihr ist, ihr blasser Dichter, aber gerade aufbreche, eigentlich schon weg sei. Und dabei sieht sie auf die Uhr.
Immer, fast immer geht er beschwingt die Treppen hinunter, frei, doch auch wenn er der Frau verdankt, wieder ein Geheimnis zu haben und damit so etwas wie Vollständigkeit zu empfinden, fällt es ihm oft schwer,sie ernst zu nehmen. Trotz einer hartherzigen und bis aufs Blut prügelnden Mutter hat sich ihm die Vorstellung bewahrt, dass das Weibliche etwas Lichtes oder zart Geflügeltes sei; er kann sich mitunter sogar etwas mit Dornen vorstellen, aber kaum etwas mit Aktentasche. Zu viel Unausgesprochenes oder Verheimlichtes ist um sie, zu viel akademische Wichtigtuerei, Name-Dropping und verräterische Gier nach Erfolgen; zu deutlich lässt sie ihn fühlen, dass sie ihn und seine Wirrnis, die er Poesie nennt, gerade so duldet in den Rastern ihrer Fachwelt und am Rande von Events, für die er nicht die Garderobe hat. Und trotzdem klingelt er immer wieder in ihrem fünften Stock, mit Blumen, denn gerade das Überhebliche an ihr, diese Unerreichbarkeit bei gespreizten Beinen ist es, die seine Sucht nach Charlotte aufrechterhält.
Auch wenn er hofft, dass die nun erreichte Jahreszahl seinem Leben eine neue Weihe gibt, irgendwie: Er denkt nicht daran, seinen fünfzigsten Geburtstag anders zu feiern als mit einer Tasse Tee oder einer Currywurst mit Pommes frites. Noch nie hat er eine Party gegeben; die Alltäglichkeit ist ihm meistens Fest genug, und er möchte seine Arbeit nicht unterbrechen. Doch Alina lässt nicht locker; wenigstens eine Reise will sie mit ihm machen in diesem sonnigen Mai, ans Meer vielleicht oder in die Berge, in die Kastanienblüte und den Flieder. Nach den Weihnachtsfeiertagen mit all ihrem Flitter und Zimt sind es seine Geburtstage, die sie in ein seltsames Fiebern, eine fast kindliche Aufgeregtheitversetzen, weil sie ihr die Möglichkeit geben, ihre Zuneigung in Bausch und Bogen zum Ausdruck zu bringen mit einem Armvoll aufwendig verpackter und oft viel zu teurer Gaben. Denn mehr noch als beschenkt zu werden ist das Schenken ihr Glück, wobei sie nicht selten rote Wangen kriegt oder sogar zittert vor Bangigkeit, auch ja das Richtige getroffen zu haben – ehe sie dann die Freude und den Dank entgegennimmt wie etwas Prickelndes in einem geschliffenen Glas.
Aber gerade weil sie so glanzvoll gedacht waren: Nie ließen sich die sogenannten runden Geburtstage in den gewünschten Goldrand fassen, ohne dabei zu zerknautschen; sowohl an Alinas dreißigstem in London als auch an seinem vierzigsten in Barcelona hatten sie sich aufs bitterste gestritten, die Rosen zertrampelt und die Liebesgaben in die Ecken gepfeffert. Und als er sie daran erinnert und gar den Wunsch äußert, allein zu bleiben an dem Wochenende und mit Webster durch das Oderbruch zu streunen, gibt es natürlich Tränen. Sie will partout etwas Außergewöhnliches machen, an einem besonderen, der Erinnerung entgegenkommenden Ort, und also stimmt er zu und entscheidet sich für Paris. Aus Trägheit eher; die Flugverbindungen sind bequem.
Er hat dort einmal gewohnt, über ein Jahr lang, und kann der Stadt nicht viel abgewinnen. Ihre Schönheit hat ihm nie eingeleuchtet, vielleicht weil sie selbst sie immerzu behauptet, gleich einer überschminkten, mit Glitzerkram behängten Tunte. Sie zehrt zu sehr von ihrem Mythos, um wirklich lebendig zu sein, und wie alle Metropolen, die sich für den Nabel der Welthalten, ist sie provinzieller, als sie weiß. Doch im Gegensatz zu Berlin hat sie jedenfalls Gedächtnis, spürbar, so dass man sich trotz des höheren Lebenstempos etwas weniger flüchtig vorkommt. Und dann das immer frische Brot …
Sie bringen den Hund in einer Tierpension unter und steigen in Schönefeld in einen Billigflieger. Man wird in A-, B- und C-Gruppen unterteilt, doch kaum sind die Sperren geöffnet, stürmen
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