Feuer brennt nicht
alle Passagiere über das Rollfeld, wobei die gesitteteren ihre Hast mit einem dünnen Grinsen drapieren, einer Art Anführungszeichen, und als Alina und er den Jet betreten, bleiben ihnen nur noch zwei weit auseinanderliegende Plätze. Weil in Orly ein Förderband defekt ist, warten sie fast drei Stunden auf ihr Gepäck, und so kommen sie müde und zermürbt in das Hotel, das kleine »Recamier« an der Place St.-Sulpice. Wolf kennt es seit nunmehr fünfundzwanzig Jahren, und nie scheint sich etwas darin zu ändern. Immer noch gibt es die schwere Haustür mit den oxydierten Messingleisten, die blaue Glaskugel auf dem ersten Pfosten des Treppengeländers, die schlecht verklebte und über den gusseisernen Heizkörpern fahle Tapete mit dem provenzalischen Blumenmuster und den zierlich vergitterten, kaum für zwei ausreichenden Lift; die dünnen Türen haben wackelige Porzellanknäufe und die Tagesdecken und Vorhänge sind aus verwaschenem Cord. Und selbst wenn dahinter ein Konzept steckt, dessen Umsetzung so mühevoll und kostspielig sein mag wie dauerndes Renovieren, möchte man doch lieber glauben, dass sowohl die Nierentische und Cocktailsessel aus densechziger Jahren, die Lampenschirme mit den verkohlten Stellen und die im Durchzug leise klirrenden Lüster als auch die wuchtigen Waschbecken mit den Haarrissen und dem honiggelben Klumpen Seife am Draht seit jeher eingegossen sind in die diaphane Gegenwart des gewaltigen Brunnens vor dem Haus, seines alles durchdringenden Rauschens, das man noch hört, wenn die Fensterläden geschlossen sind, und das einem in seiner Stetigkeit vorkommt, als ob es aus irgendeinem gütigen Grund das Vergehen der Zeit auf sich nimmt, damit alles ringsum unverändert bleiben kann.
Es dämmert schon, als sie einchecken. Das Zimmer ist klein und wirkt noch enger durch den riesigen, von Alina am Vortag bestellten Strauß Rosen, neunundvierzig weiße und eine rote. Die Reisetasche in der Hand, sieht sie ihn ein wenig bange aus den Augenwinkeln an, und um sie nicht zu enttäuschen, schluckt Wolf, der an ihre Unkosten denkt, seinen Ärger hinunter. Er gibt ihr einen Kuss und tröstet sie über die Lieblosigkeit des Portiers; weil man offenbar über keine geeignete Vase verfügte, hat man die Blumen in zwei abgesägte Vittel-Flaschen gestellt. Sie essen eine Kleinigkeit im Café du Mairie, machen einen Spaziergang durch die helle Nacht, in der ein lauer Wind die bräunlich-weißen Kastanienblüten über die Bürgersteige weht, und um zwölf Uhr trinken sie ein Glas Champagner auf einem Bistro-Schiff am Pont Neuf, wo Wolf plötzlich ein seltsames Geräusch im Innenohr hört, vermutlich eine Tinnitus-Attacke; als würde sein vermoostes Handy auf dem Grund der Seine klingeln.
Wieder im Hotel, liest er einige der »Duineser Elegien«, die er fast immer mitnimmt, wenn er reist, und nachdem Alina ihre Haare gebürstet und sich abgeschminkt hat, ölt sie ihm summend den Schwanz ein und kehrt ihm den Rücken zu, damit er in sie hineingleiten kann. Langsam bewegen sie sich, fast somnambul, wobei sie sich zusätzlich mit den Fingern stimuliert, und es dauert nur Minuten, bis sie mit einem leisen Keuchen kommt. Dann schläft sie auch schon ein, und während er noch eine Weile wach liegt und die Rosen im Licht der Nachttischlampe betrachtet, ihre bis zur Decke wachsenden Schatten, setzt draußen der Brunnen aus, das gewaltige Rauschen, und die Stille scheint das Zimmer zu verschieben mit einem Ruck. Sie ist wie ein jähes Luftanhalten der Dinge, die plötzlich so nah und scharfkantig um ihn herumstehen, dass es ihm das Herz beengt und die Kehle zuschnürt, und erst als irgendwo auf dem Platz eine Hupe gellt, kommt Wolf wieder zu Atem mit einem japsenden Zug. Dann dreht er sich auf die Seite und schläft ebenfalls ein.
Es ist ein flüchtiger Schlaf, und doch hat er nicht bemerkt, dass Alina irgendwann in der Nacht ein kleines, in Goldpapier eingeschlagenes Päckchen unter die Blumen gelegt hat. Der Tag wird trüb, wie es scheint; jedenfalls sieht das Licht, das durch die Ritzen der Blechläden fällt, danach aus, und obwohl es noch sehr früh ist, riecht es schon nach Kaffee und Croissants in dem Hotel. Die Tür zum kleinen Bad steht offen, und außer dem Tröpfeln im Bidet und dem Gluckern in den Leitungen kann er Stimmen hören im Lüftungsschacht, die Rufe und das Lachen derafrikanischen Zimmermädchen, leise Musik. Der breite, seiner Bettseite gegenüberstehende Kleiderschrank hat verspiegelte
Weitere Kostenlose Bücher