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Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
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wenigsten fassbaren und darum wohl wahrhaftigsten Gedanken und Gefühle, setzt der Ältere sofort den Rotstift an, wobei sein kopfschüttelndes »Das bist du nicht!« ihm mit den Jahren immer öfter klingt wie »Was soll der Unsinn? Sei wie ich!«
    »Aus mir spricht mein Katergefühl«, sagt Wolf mit einem Blick zu den steil aufragenden Bergwänden, an denen die verschiedenen groben oder glatten Kalk- oder Mergelschichten voller versteinerter Muscheln und Schnecken und Fischköpfe wie graue Zeilen von einer Zeit erzählen, in der hier nur Wasser war, eine reglose Allgegenwart unter den Sternen, die nichts von Menschen wussten. »Aber du hast schon recht, am Ende ist man religiöser, als man ahnt.«
    Das war längst nicht so provozierend gemeint, wieRichard es versteht – oder verstehen will. Den ganzen Morgen schon gewitterte irgendein Unbehagen zwischen seinen Augenbrauen, er rauchte eine nach der anderen und schlug die Gänge ins Getriebe, dass es krachte, und nun scheint er fast erleichtert zu sein über diesen Anlass zu einem Ausbruch, der ihm aus seiner inneren Zittrigkeit hilft. Die Handvoll Kirschen, er schmeißt sie in den Baum zurück und wischt sich die Finger an der Hose ab. »Weißt du, was ich glaube, mein Lieber? Was mir gerade klargeworden ist? Du bist auch ein bisschen doof , oder?« Und als Wolf, einen Halm im Mund, erneut die Augen schließt und grinst, wird er lauter, als es seiner Stimme entspricht; porös klingt sie plötzlich, heiser fast. »Du hast überhaupt nichts verstanden vom Leben, Mann! Wie kann man so einen Blödsinn reden! Wenn ich deine Gedichte nicht kennen würde … Ich meine, du bist doch ein Arschloch, oder? Ein gottverdammter Idiot! Du weißt doch gar nicht, was du sagst !«
    Der Wunsch, sich verhört zu haben, ist so stark, dass er die tiefere Wirkung des Gepolters verzögert. Langsam richtet Wolf sich auf und blickt in das rote, wie von einem jähen Blutstau verdunkelte Gesicht des anderen, wobei er einen Lidschlag lang hofft, er schäme sich bereits für seinen Anfall, der doch nur dem durchgifteten Stoffwechsel geschuldet sein kann. Nie hatten sie sich gestritten bisher; seine Hochachtung veredelte noch Richards zweifelhafte Züge, und dessen Einfühlsamkeit war seinem Ungeschick immer ein wenig voraus; doch als Wolf den leisen Versuch macht, das Gesagte mit einem Hinweis auf den Teufelswein abzumildern,und um der Harmonie willen sogar bereit ist, sich selbst zu widerrufen, brüllt der andere nur noch lauter, was für ein Flachkopf er sei, was für ein Spinner mit seiner Taschen-Metaphysik, der Spiritualität aus der Haschischpfeife, und wie er sich offenbar getäuscht habe in ihm, und dabei schlägt er mit der Faust auf die Karosserie seines Jeeps, dass es widerhallt vom Berg. »Religiös!« schreit er. »Religiös, wenn ich so einen Scheiß schon höre! Als ob du nicht wüsstest, was Religionen angerichtet haben in der Welt! Dieser ganze Psycho-Nebel …«
    Das alles ist lachhaft; Wolf kommt es vor, als sollte hier ein theatralisches Potential an ihm erprobt werden. Doch da er es stets als eines der größten Geschenke in seinem Leben empfunden hat, verstanden zu werden von dem Älteren, erkannt bis ins Mark, in die geheimsten Gedanken, weiß er jetzt nicht, wie ihm geschieht. Die Kraft, die ihm der Zuspruch, die hoffnungsvolle Bejahung und die stets wie ein Wasserzeichen in seiner Seele schwebende Vorbildlichkeit bis dahin gegeben haben, scheint aus einem dunklen Grund von ihm abgezogen zu werden, das Gras vor seinen Füßen fließt im Wind, die Wolken jagen meerwärts davon, und Wolf, der nicht einmal ahnt, was er falsch gemacht hat, und sich in seiner Ratlosigkeit sogar fragt, ob Richard, an dem er schon mal eine stillschweigende Homoerotik zu erkennen glaubte, einfach nur schwul ist und nun der Enttäuschung über eine vergebliche, weil nicht bemerkte Annäherung Luft macht, Wolf fühlt sein Herz sinken und kämpft gegen erste Tränen an.
    Indessen bringt der Mutwillen des anderen immerheftigere Verwünschungen hervor, als wettere er gegen irgendetwas in sich selbst; dabei scheint er die Rage durchaus zu genießen und seine Äußerungen schon deswegen für substanzvoll zu halten, weil sie sich brüllen lassen. Der Jüngere hingegen beginnt zu ahnen, dass Naivität etwas Kränkendes sein kann, dass Einfalt beleidigt. Sein Kinn zittert, der Talgrund verschwimmt vor den Augen, das Gelb des Ginsters, und als sie über Serpentinen zum Haus zurückfahren in einem Schweigen

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