Feuer brennt nicht
Schiebetüren, und Wolf richtet sich etwas auf, stützt den Kopf mit einer Hand und sieht sich der Länge nach an.
Es geht, es geht. Es könnte ernüchternder sein. Nach wie vor volles Haar, kein welker Hals und natürlich kein Bauch; der ist dank seiner Übungen, einer Mischung aus Gymnastik und Yoga, straffer als in der Jugend. Aber seine Haut, auf der sich die flachgedrückten Härchen gerade aufrichten mit einem Gefühl, als liefen Insekten darüber, findet er doch fahl in dem Licht, fast ausgelaugt und matt, und auch in den Zügen kündigt sich eine Müdigkeit an, die nichts mit fehlendem Schlaf zu tun hat. Die umschatteten Lider, die tiefer werdenden Falten unter den Nasenflügeln und die immer öfter herabhängenden Mundwinkel und schmaler werdenden Lippen scheinen zu unterstreichen, dass sich der Körper zu wehren beginnt gegen die zunehmende Neigungsebene seiner Existenz, durchaus verbissen, während gleichzeitig die Physiognomie der Seele hervortritt, einer Seele, die dem milden Glanz der Stirn und den großen, auf den ersten Blick braunen, oft auch grünlichen und meistens etwas unruhigen Augen zufolge immer noch von Angst dominiert wird, vor allem und jedem, und die sich ihre eigene Weisheit nicht glaubt.
Als wäre seine Seite im Buch des Universums die einzige ohne Wasserzeichen, verdächtigt er sich nach wie vor, das Wesentliche im Leben nicht begriffen zu haben; in schwachen Momenten, und besonders unterMenschen, kommt er sich dann durchaus haltlos vor, ohne rechte Kontur, und vielleicht ist das ein Grund dafür, dass er die Veranstaltungen des Alltags immer ernster nimmt und manchmal sogar zulässt, dass sein Denken und Sprechen von einem Hintergrundgeräusch verzerrt wird, das ihn bei anderen stets befremdet oder gar angewidert hat, dem Knarren eines Standpunkts. Je absehbarer seine Zukunft wird, desto mehr Raum gibt er der Sorge um sie und entweiht jeden glücklichen Augenblick mit dem kleinlichen Wunsch nach einem noch schöneren nächsten. Während er isst, überlegt er bereits, was er am nächsten Tag kochen wird.
Trotzdem, kann er nicht zufrieden sein? Er hat eine wunderbare Frau, eine herrliche Geliebte, er ist gesund und wohlversorgt, seine Arbeit macht ihm nach wie vor Freude und, ja doch, es gibt in letzter Zeit sogar den einen oder anderen Erfolg. Er musste sich einen Terminkalender zulegen und eine Steuerberaterin, und seine Bank schickt ihm immer wieder Broschüren über Renten- und Investmentfonds. Er sollte nicht klagen. Aber auf der halbwegs sicheren Seite zu sein und den Weg in eine vielleicht ironisch gemeinte und doch bierernst gelebte Bürgerlichkeit zu gehen, während einem der Himmel offen steht, schmeckt seltsam schal. Als würde man seine Flügel fressen. Und die Anerkennung einer jahrzehntelang abgelehnten oder nur zähneknirschend ertragenen Gesellschaft einzuheimsen und Erfolge zu haben in der Kunst ist ungefähr so traurig, wie Geld zu finden am Meer.
Als er den Arm hebt, um sich Haare aus dem Gesichtzu streichen, fällt ihm auf, dass die Partie unterhalb des Bizeps ein wenig schlaffer zu sein scheint als der übrige Körper, und während er sich dort betastet, muss er an den Leib eines zwar prallen, aber nicht mehr ganz frischen Fisches denken, der an den Druckstellen nur langsam wieder in seine Form findet, wenn überhaupt. Das Licht wird heller, und das pelzige Gefühl im Mund nimmt zu; er möchte sich die Zähne putzen, wagt aber nicht, aufzustehen. Hinter sich hört er Alina atmen in dem ruhigen Rhythmus, der ihm schon immer Ausdruck eines tiefen Vertrauens ist, einer Gewissheit von Obhut, die sie ihm voraushat; er kann sich an keinen Tag erinnern, an dem sie nicht gelächelt hätte. Doch dann seufzt sie einmal kurz und leise klagend, wobei die Stimme aufschimmert wie etwas Silbernes unter der Oberfläche ihres Schlafs.
Das klingt nach einem jungen Mädchen, einem Kind gar, und unwillkürlich fragt er sich, wie lange sie nun schon seinen Schatten trägt und wann er zu alt sein wird an ihrer Seite. Immer deutlicher dehnen sich die Jahre zwischen ihnen dadurch, dass sie ihn wegen mancher Falten und vereinzelter weißer Haare anziehender findet denn je. Was er ihr halbwegs glaubt, geht es ihm doch ähnlich, wenn er an die älter aussehende Charlotte denkt. Ihre müden Wangen, der sehnige Hals, das runzlige, wie ein trockenes Flussdelta anmutende Dekolleté, unter dem sich freilich makellose Brüste wölben, der nachlassende Po und die von den vielen Solariumsbesuchen
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