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Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
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zerknitterte Haut an den Rückseiten ihrer Schenkel machen ihn immer wieder fuchsteufelsgeil; das mag eine List der Natur sein, doch CharlottesAnziehungskraft hat sicher auch mit dem Aplomb zu tun, mit dem sie sich und ihren Körper trotz allem trägt. Aber gerade so ein selbstbewusst durchgedrückter, Gelungenes und Erreichtes wie eine Lotschnur betonender Rücken fehlt ihm eben. Muss ihm fehlen.
    Die kleine Glocke von St.-Sulpice schlägt sieben Uhr, und als der Brunnen plötzlich wieder rauscht, eine Tür knallt und die dünnen Wände wackeln, glaubt er eine Schrecksekunde lang, das Silber des Spiegels beginne zu fließen; er langt hinter sich, greift nach der Hüfte seiner Frau, schmiegt ein Bein an ihres, um die Körperwärme zu fühlen, und fast amüsiert ihn diese Furcht; gleichzeitig aber wird ihm klar – nie vorher sah er es so deutlich –, dass gerade sie das Untrüglichste an ihm ist, das Wahrhaftigste. Und das macht sie doch zu einem Geschenk … Alina bewegt sich, erwacht, ihr zerzauster roter Schopf erscheint hinter seiner Schulter, die helle Stirn, und nun kann er, der eben noch glaubte, die eigene Asche zu schmecken, wieder durchatmen. Als würde seine graue Aura vom Anblick ihrer Züge gelichtet, fühlt er so etwas wie Zuversicht und neuen Mut, und während sie ihn aus dem Spiegel heraus ansieht mit ihren klugen Augen und die sommersprossigen Arme um ihn schlingt, herzhaft gähnend, rundet sich die Welt.
    »Als Fünfzigjährigen finde ich dich ziemlich missraten«, hatte sie in der Nacht auf dem Schiff gesagt. »Als Vierziger wärst du jetzt gut.«

    An dem Morgen beschließt er, ihr die Wahrheit zu erzählen. Sie frühstücken im Zimmer, schlafen nocheinmal ein, und dann ist es Mittag, als sie auf die Straße treten. Die großen Glocken dröhnen, die Metallkännchen auf den Tabletts der Kellner blitzen in der Sonne, das Grün der Kastanien scheint über die Windschutzscheiben zu fließen. Alina hat ihm einen Fotoapparat geschenkt, ein raffiniertes kleines Ding, mit dem man sogar kurze Filme drehen kann, was sie denn auch getan haben, in allen Positionen, und mit Ton. Die Wiedergabe auf dem Display war brillant, und vielleicht sah deswegen alles so enttäuschend aus, so krude, auch wenn er sich insgeheim zu seinem Gemächt gratulierte. Und nie vorher war ihm aufgefallen, wie rot sein Kopf dabei wird.
    Was Alina betrifft, ist es auch jetzt, vor den wehenden Wasserkaskaden des Brunnens, nicht anders als sonst: Wenn man ein Objektiv auf sie richtet, verschwindet der Zauber aus ihrem Gesicht und fast alles, was sie einzigartig macht in seinen Augen; sie hasst es, fotografiert zu werden, und verkrampft sich bis zum Klicken des Auslösers derart – auf kaum je einem Bild ist ihr wahres Wesen zu erkennen. Immer wieder verdrießt es ihn, dass die vertrauensvolle Atmosphäre, in der ihre Anmut aufblüht, selbst dann durch das Glasauge eines Apparats zerstört wird, wenn er ihn bedient. Anfangs verdächtigte er sie sogar, weniger schön zu sein, als er sie sieht; tatsächlich aber ist es eine entscheidende Dimension zu viel, die Bilder von ihr oft unbefriedigend macht. Denn nur flache, vordergründige und im Innern glanzlose Menschen können wiedergegeben werden, wie sie sind, jedenfalls in diesem Medium. Und für die anderen gilt die Wahrheit aus den Indianerbüchernseiner Kindheit: dass dem Fotografierten mit einem Blitz die Seele geraubt wird.
    Langsam gehen sie durch den Jardin du Luxembourg, in dem der Flieder schon verblüht ist. Sie essen etwas im »Select« und trinken ein Bier auf der verglasten Terrasse. Alina weist ihn stumm auf die Westenknöpfe des Kellners hin, kleine Hundeköpfe aus Metall. Ohne viel zu reden, blicken sie auf den Boulevard, wo ein paar Menschen zusammengedrängt auf einer Asphaltinsel warten und Papierfetzen und Plastiktüten im Fahrtwind der Autos hoch und höher gewirbelt werden in einer seltsamen, vom unablässigen Verkehr und Gegenverkehr bestimmten Choreographie – als wären es die Manschetten von Geistern, die wild durcheinander gestikulieren oder dirigieren mit einem Furioso, das es nur in ungeschriebenen Symphonien gibt.
    Dann ist die Ampel rot, und in dem kurzen Augenblick ohrenbetäubender Stille steigt ein Mann mit einem Hut in der Hand aus dem Bus; er ist bis zum Rand mit Pilzen gefüllt. Eine Weile versucht Wolf vergeblich, die Reflexe der Öl- und Essigfläschchen auf dem Leintuch oder die Schatten der Vorbeigehenden zu fotografieren. Das Lokal ist fast leer,

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