Feuer brennt nicht
das Flechtwerk der Stühle knackt in der Sonne, die Serviettenkegel auf dem Nebentisch öffnen sich langsam. Winzig gespiegelt, flitzt der Verkehr um die unteren Rundungen der Gläser. Alina legt den Kopf zurück und schließt die Augen, und leicht angeschmolzen von einer Sanftmut, die ihn unentschieden macht, schiebt Wolf die ersten Worte immer wieder hinaus.
Schwer schleift der grüne Stoff des Türvorhangs überden Boden. Im Zittern der weißen und hellgelben, wie hauchzarte Rädchen ineinandergreifenden Lichtringe auf den Scheiben vergeht die Zeit, und schließlich atmet er tief und legt ihr, die gerade bezahlt hat und abrückt vom Tisch, eine Hand auf die Schulter. Sie sinkt noch einmal zurück, sieht ihn heiter und erwartungsvoll an, und er muss daran denken, dass sie vor einigen Wochen erneut über das Heiraten phantasiert hatten, beinahe feixend angesichts ihrer Jahre, wobei als möglicher Termin sein fünfzigster Geburtstag in Betracht kam. Doch dann war ihnen das Datum zu sentimental gewesen.
Die Ellbogen auf den Armlehnen des Rohrstuhls, die Hände in Mundhöhe verschränkt, räuspert er sich und beginnt zu reden, wobei er vermeidet, Alina ausdrücklich anzublicken, was nur wenig mit Scham zu tun hat. Er will sich nicht abbringen lassen von der Wahrheit durch das zarte Gewittern ihrer Stirnfalten, den offen stehenden Mund oder die zunehmende Blässe, die er jetzt schon aus den Augenwinkeln sieht, oder gar schonend werden, falls sie weint. Doch sie bleibt gefasst, jedenfalls äußerlich; für Vorbeigehende sind sie nichts als ein vertrautes Paar in einem alltäglichen Gespräch. Sie faltet die Serviette im Schoß, er schlägt ein Bein über das andere und lässt die Schuhspitze wippen, und einmal beugt sie sich sogar vor und zupft ihm etwas vom Kragen.
Aber wie meistens, wenn sie in Unruhe oder Angst gerät, fängt sie an zu schlucken, immer wieder, und dann bewegen sich ihre Lider, als wäre ihr etwas darunter geraten. Das rasche Auf und Ab der getuschtenWimpern am Rand seines Gesichtsfeldes erzeugt nach und nach das Gefühl, dass er etwas anrichtet mit seinen Worten, dass er verletzt, unwiderruflich, und leises Mitleid schnürt ihm die Kehle zu. Doch er spricht weiter, er will, er muss ihr alles sagen, schon um der Reinheit ihrer Freundschaft willen, die er nicht länger überschattet sehen möchte von etwas, das nur durch die Verheimlichung Wichtigkeit erlangt. Denn aus seiner Sicht wird ihr Zusammensein von dem, was ihn mit Charlotte verbindet, so wenig gefährdet wie von einem Waldspaziergang oder einem Saunabesuch; es ist Wellness, es dient der Entspannung und kommt der Kraft zugute, mehr nicht. Warum also mitspielen in der scheinbar überall vorherrschenden Kultur des Betrugs und Alina entwürdigen, indem er sie zu einer Hintergangenen macht; das würde nicht nur ihr Leben verfälschen, sondern auch seins. Denn wenn ihm Liebe etwas bedeutet, dann Vertrauen, ja mehr: Während sie tatsächlich oft nur ein Wort war in seiner Vergangenheit und damit alle Möglichkeiten des Missverständnisses enthielt, blieb das Vertrauen immer eindeutig und klar, wie ein Durchatmen.
Alina schließt die Augen, nagt an der Unterlippe, und während er noch eingenommen ist von dem Erstaunen darüber, wie kurz und bündig sich erzählen ließ, was ihm so lange schon Gewissensqualen bereitet, sagt sie zunächst nichts. Eine bange Minute lang muss er daran denken, dass sie einmal in Kreuzberg über die Möglichkeiten des sogenannten Fremdgehens gesprochen haben, ein Spiel. Ihn hatte ihr kategorisches »Das wird mir nicht passieren« damals geärgert, nicht nur, weil esnach der moralinsauren Lasur von Frauenzeitschriften roch. Zwar wollte sie ihm damit nur sagen, dass er der Mann ihres Lebens sei; indem sie sich aber derart selbstgewiss einkapselte vor den Unwägbarkeiten und möglichen Leidenschaften der Existenz und ihm sicher war, verloren ihre Konturen das Schillernde und ihr Blick seine Tiefe, jedenfalls für den Moment. Kaum aber fragte er sie, was sie machen würde, wenn er plötzlich eine Geliebte hätte, und sei es nur fürs Bett, erstarrte sie, schien ein paar Herzschläge lang tiefer in die Frage hineinzulauschen, als es ihrer Bedeutung entsprach, und hauchte ängstlich: »Hast du?« Und als er, der damals wirklich keine hatte, den Kopf schüttelte, lehnte sie sich wieder an ihn und sagte: »Na, Gott sei Dank. Sonst wäre ich nämlich weg.«
Das ist vor langer Zeit gewesen, vor einem Jahrzehnt, und doch hat
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