Feuer brennt nicht
diese lächelnd ausgesprochene Drohung – wie eines jener homöopathischen Mittel, dessen Einnahme man längst vergessen hat, das aber trotzdem weiterwirkt, weil der Arzt es einem gelegentlich andenkt – mit dazu beigetragen, dass er sie um die Wahrheit betrügt seit dem ersten Treffen mit Charlotte. Sie weint jetzt, wenig nur, doch die Wimperntusche beginnt schon zu verlaufen, und er wischt ihr, wie er das meistens tut, die unteren Lider mit der Daumenkuppe ab und diese an seiner Jeans. Erst dann sucht er nach einem Taschentuch.
»Und ich dachte schon, wir kriegen mal einen runden Geburtstag ohne Katastrophe hin«, ist das Erste, was Alina sagt, mit kaum hörbarer Stimme, und der milde Sarkasmus erleichtert ihn fast, scheint er doch einZeichen dafür zu sein, dass sie die Sache so nimmt, wie er es sich gewünscht hat, mehr oder weniger sportiv. Und als sie dann sagt, dass sie es längst geahnt habe, nicht zuletzt, weil sie schon mal das eine oder andere getönte Haar an seinen Kleidern bemerkt habe und nach seinen ersten Ausflügen in die Innenstadt immer der gleiche Parfümgeruch von dem Hund ausgegangen sei, muss er sogar schmunzeln. Chanel Nr. 5.
Doch da drückt sie den Rücken durch, zieht das Kinn an den Hals, und in demselben Moment, in dem ihm klar wird, dass sie weniger die fremde Geliebte als vielmehr seine Unaufrichtigkeit kränkt, das Heimlichtun all die Monate, sieht sie ihn an mit einem Blick, in dem er Wut und Verachtung nur deswegen nicht gleich erkennt, weil er ihr solche Gefühle und ihre Anzeichen auch jetzt nicht zutraut; sogar die Betrogene kann er sich nur hochherzig vorstellen. Sie verengt die Augen, wobei eine weitere Träne hervorquillt und eine schwärzliche Spur auf der Wange hinterlässt, und plötzlich muss er schlucken, und das Atmen fällt ihm schwer. Passanten sehen sie an, während er ihr das Taschentuch hinhält, nachdrücklich, als gäbe es gerade nichts Wichtigeres, und sie schlägt ihm die Hand weg und steht so abrupt auf – hätte er nicht den Arm ausgestreckt, wäre wohl der Stuhl gekippt.
Aus den Lidwinkeln blickt er sich nach den anderen Gästen um, den Kellnern mit den vergoldeten Flaschenöffnern in den Westen, die ausdrücklich nichts bemerkten, der Dame an der Kasse, reglos wie Wachs. Schon in der Vergangenheit war er sehr schnell einzuschüchtern gewesen von den pathetischen, in derÖffentlichkeit sich abspielenden Auftritten so mancher beleidigter Frau; die explodierende Bitternis, mit der diese die allgemeine Neugier und das Stirnrunzeln ignorierte und ihm Szenen machte, in denen sie vorgab, es ginge ihr noch um Inhalte, die aber in Wahrheit schon Rache an ihm und seinem steifen Formgefühl waren, beschämte ihn nicht weniger, als hätte sie allen Umsitzenden das gemeinsame Schlafzimmer geöffnet; und auch jetzt fühlt er sich bereits erpresst von der Aussicht, dass gleich die Fetzen flögen, und wünscht sich insgeheim, irgendetwas zurücknehmen oder widerrufen zu können. Er, der in seinem Metier durchaus frei vor größerem Publikum zu sprechen weiß, bekommt Schweißausbrüche bei dem Gedanken, aufzufallen in einem Restaurant oder anderen öffentlichen Räumen, und wäre dann gern randloser als seine Brille. Doch gesagt ist gesagt, und Alina schüttelt den Kopf, als er ihr sanft den Stuhl gegen die Kniekehle schiebt; sie will sich nicht setzen; sie will eine Antwort auf ihre Frage – die er nicht verstanden hat.
» Liebst du sie denn?« wiederholt sie vernehmlicher, wobei ein paar Tränen auf ihre weiße Bluse fallen, was die zarten Spitzen der Wäsche ahnen lässt, und vielleicht hat er etwas zu lange dorthin gestarrt. Als wären diese bleiernen Minuten schon dabei, sich in Luft aufzulösen, als würde durch die grauen Tropfen nicht nur der Stoff transparenter, sondern auch die Gegenwart um einen wasserhellen Blick durchschaubarer, sieht er plötzlich in das Herz der Situation und erkennt, dass er Alina nie näher war als jetzt, im Schatten ihrer Trauer; dass ihn durch diese Frau sein eigenesGeheimnis anspricht, die Quelle seiner Kraft, und ihr ganzes Wesen ein Schutz für ihn ist, eine Zuwendung von irgendwoher. – Natürlich hat er ihr weh getan, aber auch das ist ihr Leben, und so sicher wie der Schmerz vergeht, muss die gemeinsame Freude wiederkommen, denn für nichts anderes sind sie gemacht; sie ist die hauchzarte Triebfeder selbst ihrer dunklen Augenblicke, und verwirrt von dieser Gewissheit, vermag er zunächst nichts zu sagen, so dass Alina sein
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