Feuer brennt nicht
Zögern vielleicht als ein Nachdenken über ihre Frage deutet. Jedenfalls wirft sie die gestärkte Serviette, mit der sie sich das Gesicht abgetupft hat, wieder auf den Tisch, und nun fällt doch noch ein Glas um, zerklirrt am Aschenbecher, und sie flüstert: »Ach, zum Teufel … Du weißt doch eh nie, was du fühlst!« Dann dreht sie sich um und geht hinaus.
Ein deutlich zu dramatischer Abgang, und trotzig bleibt er sitzen und bestellt noch einen Kaffee und ein edles Zigarillo, das er dann aber nicht aus der Folie nimmt. Im kaum merklichen Lächeln des Kellners, dem Verständnis und der Lebensklugheit, die er darin zu erkennen meint, findet Wolf einen Moment lang Trost und Bestätigung und lässt ein ausdrückliches Trinkgeld neben den Scherben liegen. Dann geht er durch die rue Delambre auf den Markt neben dem Friedhof, kauft eine weiße Gladiole und legt sie auf das Grab von Soutine, der ihm lange der liebste Maler war. Und wie schon oft, sucht er das von César Vallejo auch diesmal vergeblich zwischen den engstehenden Monumenten, die von dem obszön großen eines Literaturkritikers überragt werden, und so erweist er ihm mit einem Nicken in die ungefähre Richtung die Ehre.
In der deutschen Buchhandlung neben der »Closerie des Lilas« blättert er ein paar Neuerscheinungen durch, kauft aber nichts. Wieder im Park, geht er vorbei an dem Karussell mit den alten, noch und noch überstrichenen Holztieren, das sich – man merkt es immer erst nach einer Weile – ganz ohne Musik dreht. Dann sieht er den Kindern zu, die ihre bunten Laptops und anderes elektronisches Spielzeug auf die Stühle gelegt haben, um die geschnitzten, seit Menschengedenken dort zu mietenden Schiffchen mit Bambusstöcken über das Wasser des Brunnens zu schieben. Windböen wirbeln immer wieder Schwaden von Staub auf zwischen den Spazierenden, und er setzt sich in den Schatten des Musikpavillons, wo die Notenblätter auf den Ständern flattern, und reißt ein Streichholz an. Und während er seit langem einmal wieder den Tabakgeschmack auf der Zunge fühlt, seinen leeren Ernst, muss er an Alinas Frage denken, die andere betreffend, an sein Gefühl für sie.
Liebe, ein so strahlender Stern – wie endlos grau und öde kann er sein, wenn man über seine Oberfläche stolpert. Weil seine Erfahrungen mit ihr fast nie an den Glanz und das Feuer seiner Vorstellungen herankamen und weil er, wann immer er sich rückhaltlos hingab, auf den Tritt in den Unterleib nicht lange warten musste, hatte er sich schon früh gegen das absolute Gebaren der Liebe gewehrt und es sich in besonderssehnsuchtsvollen Momenten sogar zynisch heruntergeputzt, das Phänomen. Doch selbst wenn es nach wie vor stimmt, dass ihr Diktat nichts weiter als ein biologisches Manöver ist, ein Garant für die Übereinstimmung oder Ergänzung der genetischen Eigenschaften, und dass sie in ihren rauschhaftesten Zuständen genau die Bedenkenlosigkeit erzeugt, die vonnöten ist, um den gesunden, der Vernunft und dem Freiheitswillen oft entgegenstehenden Instinkten der Arterhaltung Raum zu schaffen, dürfte klar sein, dass dies ihre innerste Wahrheit kaum berührt. Liebe will vermutlich weniger gefühlt, sie will gelebt werden, denn allein der Gedanke, dass der Staub, durch den man stolpert, zu einem Stern gehört, verstärkt sein Strahlen.
Was Charlotte betrifft, so hatte sie erst vor kurzem von ihm wissen wollen, wie er ihre Affäre sieht, das Geficke dann und wann, und die erwartungsvolle, wie für Grundsätzliches gemachte Stille im Raum wurde ihm plötzlich unheimlich; seine Schuhe standen im Flur, die Hose lag in der entferntesten Ecke des Zimmers, und krampfhaft suchte er nach irgendeiner flapsigen Replik, die vergessen ließ, dass hier ein Ernst der Lage drohte. Doch da schüttelte sie bereits den Kopf, zupfte eine Fluse aus seinem Nabel, ein Gerinnsel seines Samens, und sagte: »Wir tun uns gut, oder?« Und erleichtert trank er einen Schluck Wein.
Als er ins Hotel kommt, ist Alina fort. Außer seinem Popelinmantel hängt im Kleiderschrank nur noch der Schal, den er ihr einmal geschenkt hat, und auf dem Glastisch im Bad liegen die Tickets und etwas Zahnseide. Er wählt ihre Nummer, doch sie hat das Telefonnicht eingeschaltet; es meldet sich nur die Stimme aus der Box, und nun wird er unruhig, ohne allerdings mehr sagen zu können als »Ich bin’s. Wo steckst du?« Dann schweigt er noch eine Weile und starrt auf die Rosen, von denen einige bereits geknickt sind in dem warmen
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