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Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
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und er zum Bleistiftspitzen auf den Balkon tritt und sich nach dem Sinn und Zweck dieses Besuches fragt, wird bereits die knappe, ihn gleichwohl lange beschämende Antwort für die Morgenzeitung gedruckt, für die Spalte »Vermischte Kulturnachrichten«. Richard Sander ist gestorben.

5
Der Morgen nach dem Tod
    Der Herbst lässt auf sich warten, noch sind die meisten Bäume grün. Kein Hauch auf der Dachterrasse; die Haare, die Wolf aus der Bürste kämmt, bleiben auf den Fliesen liegen, und die Tageshitze schwächt sich auch nachts kaum ab. Nur in der Innenstadt, wo die Trambahnschienen im weichen Asphalt sich verziehen und die Lamellen der Lüftungslöcher über den Restauranttüren klappern, werden schon einige Linden kahl, und all die helleren und dunkleren Grautöne, die in den letzten Wochen randlos ineinander übergingen unter dem flirrenden Staub des Sommers, treten in ihrer Verschiedenheit wieder deutlicher hervor.
    Es gibt Sonntagnachmittage, da sieht die Stadt aus, als hätte sie jemand beim Pokern verloren. Kaum Menschen auf den Straßen, wenig Verkehr, hier und da ein Hund. Er bringt Alina, die noch einmal nach Tübingen muss, zum Ostbahnhof und fährt dann zum Prenzlauer Berg, ohne Blumen. Charlotte sitzt im Unterrock am Computer und scrollt durch einen Text, und obwohl sie es mag, wenn er verschwitzt riecht, besonders an den Hoden, geht er erst einmal duschen. Ein neuer Morgenmantel hängt hinter der Badezimmertür, ein dunkelblauer mit einem Wappen auf der Brusttasche, und auf dem Spiegelschrank steht dasselbe Aftershave, das auch er benutzt. Er trocknet sich nur flüchtig ab,und während er sie sanft massiert, tropft das Wasser aus seinem Haar auf ihre Schultern, und sie stöhnt wohlig auf, lässt den Bildschirm aber nicht aus den Augen. »Ich hab’s gleich«, sagt sie, als er näher an sie herantritt, so dass sie alles fühlen muss, und in ihren Ausschnitt langt, um mit den Fingerspitzen über die Schweißspur zwischen den Brüsten zu fahren. »Gleich darfst du mich verwöhnen.«
    Ihr Mund ist seit kurzem aufgefrischt, ein dezentes, mit feiner Tätowiernadel aufgebrachtes Dauer-Makeup lässt ihn etwas jünger aussehen als das Gesicht, was diesem eine leicht makabre Note verleiht; ein neuer Mund für neunhundert Euro. Sie erinnert ihn an die Heroin-Schönheiten der späten sechziger Jahre, und während sie ihrem Kuss trotz des schalen Büroatems einmal mehr die Konsistenz von sehr flüssigem Honig zu geben versteht, klappt sie blind ihr Notebook zu und zieht ihm das Handtuch von den Hüften. Dann legt sie sich auf den Tisch, und er setzt sich vor sie auf den Stuhl, schiebt den Satinstoff zum Nabel hoch und beginnt sie zu untersuchen, wie sie es mag: »Wie ein Stück Fleisch.« Er beträufelt sie mit dem Saft zerquetschter Trauben und trinkt zwischendurch einen Schluck Wein.
    Sie haben es nicht eilig. Weil sie sich nun nicht mehr im Verborgenen sehen, ist der Thrill des Heimlichen, das gleichsam Flüsternde, natürlich fort, und es staut sich auch weniger quälende, durch die Ungewissheit eines Treffens noch gesteigerte Erregung an. Andererseits ist eine mindestens ebenso spannende Sachlichkeit eingetreten zwischen ihnen, ein ruhigesAusprobieren dessen, was das Glück für ihre Körper vorgesehen hat, und da es keine zeitlichen Grenzen mehr gibt, von der letzten S-Bahn vielleicht abgesehen, kein Ende einer angeblich besuchten Kino- oder Theatervorstellung, das zu berücksichtigen wäre, können sie stundenlang auf dem breiten Sofa liegen, wie ein Ehepaar. Sie sehen sogar fern dabei, und an dem Sonntagabend, während sanfter Wind die Vorhänge bläht und Charlotte verträumt mit seinem Schwanz spielt, ist es plötzlich da, dieses lautlose Aufschluchzen unter dem Brustbein, das süße Ziehen, das sie beide gleichzeitig fühlen, während sie mit einem leisen, fast nur mit dem Atem gesagten »Komm!« die Arme um seinen Nacken legt und ihn, den jäh wieder erstarkten, erneut in sich hineinzieht, in den warmen Samen, der bereits in ihr ist. Und er beißt in ihren Hals und kommt noch mal.
    »Oh Gott«, stöhnt sie wenig später. »Du bist fast der Einzige, mit dem ich gleichzeitig einen Orgasmus kriege.« Und schon ist er wieder verstimmt und sucht nach seinen Boxershorts. Dass sie, eine studierte Psychologin, ihren Hang zu plumpen Manövern auch in solchen Momenten nicht lassen kann, kommt ihm plötzlich erbärmlich vor und unappetitlich zudem; er denkt an Fußpilz in Highheels. Seine Eifersucht wäre der

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