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Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
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er bemüht salopp: »Oh Gott, ich bin von heulenden Weibern umgeben. Nun tropf mir nicht die Hose voll! Was ist denn los?«
    Langsam richtet sie sich auf, und er reicht ihr die Box mit den Taschentüchern. Doch sie nimmt ihren Slip vom Boden, schnäuzt sich in den Baumwollstoff. Dann zündet sie eine Zigarette aus der Schachtel an, die irgendwer bei ihr vergessen hat; auf dem Feuerzeug ist das Logo einer Computer-Firma. Ihre Wangen fallen nach innen, als sie an dem Filter zieht, die Falten auf der Oberlippe werden tief. Aus schmalen Augen starrt sie vor sich hin, stößt den Rauch durch die Nase, und je länger sie schweigt, desto strenger kommt ihm ihr Profil vor; zum ersten Mal sieht er klar, dass sie eine Lehrende ist, und kann sich den Respekt vorstellen, den die Mitarbeiter in den Forschungsgruppen vor ihr haben.
    »Ich gebe dir sehr viel«, sagt sie endlich und schluckt; die Stimme klingt brüchig, fast alt. »Ich gebe dir mehr, als du weißt, du egoistischer Hund.« Sie muss hustenund drückt die Zigarette wieder aus; ihre Finger zittern. Dann verschränkt sie die Arme vor der Brust. »Ohne mich würde deinem Dasein genau das fehlen, was dich vor dumpfer Resignation und Piefigkeit bewahrt. Ich bin nämlich der Lichtblick in deiner Enge; ohne mich wäre dein gepflegtes Zuhause nichts, der Schatten von nichts, wenn du verstehst, was ich meine.« Und als er das trotzig verneint, das Kinn hebt und sie bittet, sich und ihre Bedeutung in seinem Leben nicht zu überschätzen, braust sie nur noch heftiger auf. »Ohne unser Versteck hier wärst du doch längst verkümmert in deinem kleinkarierten Vorort voller Ost-Idioten und Ökomöbel! Du hast dich im Nötigsten verkrochen, weil du Angst hast vor dem Möglichen. Ich schlucke dein Sperma, aber in Wahrheit spritzt du Tränen. Ich bin es, die deinem Eros Feuer gibt, damit du Sätze schreibst, die man ohne Gähnkrämpfe lesen kann. Ich strecke dir den Arsch hin, und ohne die Abwechslung, die ich dir schenke, ohne die Wäsche, die du zerreißen und die Schweinereien, die du mit mir anstellen darfst, hättest du schon längst keine Lust mehr auf deine ach so verständige Frau zu Hause, und sie würde wie alle vor der Glotze vertrocknen. Ich halte eure Beziehung lebendig, das überleg dir mal, mein Freund. Und jetzt möchte ich allein sein.«
    Mit den Fingerrücken wischt sie sich die letzten Tränen aus den Augen. In ihrem Gesicht, fast bleich vor Bitternis, sieht der Mund wie aufgemalt aus. Sie zieht sich eine Wolldecke unters Kinn, drückt auf die Fernbedienung und stellt den »Tatort« an, und ohne wie sonst seine Schritte zu dämpfen, stapft er über dasParkett, nimmt sein Sakko vom Haken und reißt die Tür zum Treppenhaus weit auf, damit er sie nachdrücklich zuschlagen kann. Aber dann schließt er sie leise.

    Das Fauchen der Schwäne auf dem See: als würde der Stille die Haut abgezogen.

    Todsünde des Schriftstellers: über Mozart schreiben.

    Viel zu kurz ist die Fahrt durch die warme Nacht. Schnurgerade verläuft die Strecke zwischen den Bäumen. Zweige streifen die Scheiben, und im Licht, das aus den wackeligen Wagen fällt, sind Sträucher voller samtblauer oder roter Beeren zu erkennen. Hohe Stapel Nutzholz türmen sich an den Wegen, die hell sind vor Sägemehl, hier und da steht ein Haus.
    Die Sitze in der alten DDR-Tram sind beleidigend klein; Wolf bildet sich ein, den überlebten Staatswillen im Rücken zu spüren, die verordnete Bescheidenheit. Alina, die schon den ganzen Tag Kopfschmerzen hat, schmiegt die Wange an seine Schulter und schließt die Augen. Die Pupillen unter den Lidern rucken nervös, manchmal erscheinen senkrechte Falten zwischen den Brauen, und er kann ihre Halsader schlagen sehen – zu schnell, wie er findet. Zwar sagt er nichts, doch spürt sie offenbar, dass er sich sorgt, und tätschelt beruhigend seine Hand. Der Hund legt den Kopf auf ihre Knie.
    Knapp zehn Minuten dauert die Fahrt durch den nächtlichen Wald, und sie steigen am Pyramidenplatz aus. Birkenlohe bei Berlin ist trotz der strahlenförmig vom Schlosspark wegführenden Hauptstraßen ein angenehm unübersichtlicher Flecken – ein Wort, das den Umrissen sehr gut entspricht. Er hat etwa Hingestreutes, und wenn man anfangs geneigt ist, ihn für ein Dorf zu halten, muss man sich schon bald von den müden Füßen korrigieren lassen; die einzelnen Ortsteile ragen tief in die hügeligen Felder und Mischwälder hinein, und diese werfen ihre Schatten bis auf die Parkplätze der

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