Feuer brennt nicht
gehen, nicht gleich. Aber das hat sie bisher nie getan. Zu ihrem Sonntags-Ritual gehört es, nach dem Sex einen »Tatort« zu sehen.
Auch an dem stillen Abend, an dem ihr der Hauch von Innigkeit vermutlich zu nahe gegangen wäre ohne Zwischentöne, sucht sie bereits, kaum greift er nach seinen Socken, die Fernbedienung unter den Kissen. Sie steckt in der Obstschale. »Du kannst einfach nicht geben«, sagt er grinsend, schließt seinen Gürtel, die klirrende Schnalle, und schlüpft in sein Hemd. Ihr Körper ist gestreift von dem Schatten der Jalousie, spätes Licht liegt auf der Hüfte und der rotgebissenen Brust, und sie hat sich ein Kleenex in die Spalte geklemmt und tutso, als hätte sie nichts gehört. Sie kriegt den Fernseher nicht an. »Du kannst nur nehmen«, fährt er fort und reißt ein paar Trauben von der Rebe. »Aber das auf eine beglückende Art.«
Er dreht sich um, und fast schon wäre er aus der Tür gewesen, da hört er einen hauchzarten, zwischen den kahlen Wänden und den Bauhausmöbeln wenig vorstellbaren, wie aus der fernen Kindheit heraufsteigenden Laut – ehe ihn das Gewicht der darauffolgenden Stille zurückzieht in den Raum. Die Sonne ist hinter die Dächer gesunken, die Schatten sind verschwunden in einem allgemeinen, den Augen wohltuenden Grau, in dem der Flachbildschirm wie eine stumpfe Stelle schimmert, und Charlotte weint. Sie hat sich einen Arm über das Gesicht gelegt, die Nase läuft, und die Lippen zittern, und gerade weil er bei ihr, die im Bett oder kurz davor schon mal Innigstes haucht oder mit den Blicken schmettert, immer gleich an Theater denkt, sieht er, dass sie nicht spielt. Außer in Momenten höchster Lust hat er nie Tränen auf ihren Wangen bemerkt, und leicht verlegen hockt er sich auf die Sofakante, verschränkt die Finger im Schoß und wartet. Der Himmel über dem Hof ist noch rot, doch die Dunkelheit im Zimmer nimmt rasch zu.
Charlotte schweigt und bewegt sich nicht, und er kann ihren Atem kaum hören, nur den Sekundenzeiger am Handgelenk, aber gerade das gibt ihrer Trauer einen Ernst, der ihn immer mehr einschüchtert und auch hilflos macht, während er sich gleichzeitig fragt, was um Gottes willen so verletzend war an dem Dahingesagten. Sein Nachhall will ihm beinaheschmeichelhaft klingen; jedenfalls ist die Poesie des Satzes ein Geschenk, so denkt er, das nicht jede Geliebte kriegt. Zudem hat es schon Kränkenderes gegeben zwischen ihnen, erst vor kurzem noch. Da sagte Alina nach einem Streit um irgendeinen Alltagskram: »Mensch, du bist so unausgeglichen; fahr mal wieder zu Charlotte.« Und als er ihr das erzählte, schmunzelnd zwar, aber durchaus stolz und voll Bewunderung für so viel Souveränität, verzog sie keine Miene; sie starrte aus dem Fenster, nippte von ihrem Scotch und murmelte schließlich: »Sie hält mich wohl für eine Edelnutte.« Und weil er fand, es stehe ihr nicht zu, Alina anzugreifen, schraubte er die Tube mit dem Gleitmittel auf und sagte beiläufig: »Ja, wieso Edel … ?«
Doch da flogen nur die Kissen und ein Buch, sein letzter Roman. Jetzt weint Charlotte immer noch weiter, und als er ihr über die Schulter fährt und flüchtig durch die Haare streicht, schluchzt sie laut auf und wälzt sich herum, legt den Kopf auf seine Knie. Der Verdacht, an eine verborgene Wunde geraten zu sein, nimmt zu, und ihm wird einmal mehr klar, wie wenig er von ihr weiß – und zwar nicht, weil sie es ihm nicht erzählt, sondern weil er kaum je zugehört hat vor Ungeduld, Gier oder Müdigkeit. Die kaltherzigen Eltern, die bösartigen Geschwister, die schwierige, weil von Krankheit bestimmte Kindheit, die Zeit im katholischen Internat, das tägliche Masturbieren ab dem neunten Lebensjahr, der Zwang, immer und überall die Beste zu sein, der nur zu ertragen war, indem sie ihn zu ihrem Willen machte, die unerfüllte Sehnsucht nach einer Frau und all die schrägen Männer, dieDepressiven und Schizophrenen und Stammler mit feuchten Händen, zu denen es sie seit der Pubertät zog – in den Abgründen ihrer Vergangenheit, in denen auch seine Spur ihren Platz hat, gibt es offenbar einen Nerv, an den nur rühren darf, wer ihrer Trauer gewachsen ist. Ein Liebender also, vielleicht noch ein Freund, bestimmt aber kein Lover. Wolf jedenfalls findet es bequemer, sich einzubilden, dass sie mittlerweile weniger leidet und also getröstet werden will als vielmehr ihr Weinen genießt – ein Bad in warmen Tränen, die er schon durch den Stoff hindurch fühlt. Und so sagt
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