Feuer brennt nicht
bewahrende oder gar verjüngende Firnis dessen, was sie dort drüben im Wandspiegel sieht, das kann er durchaus verstehen; aber die Existenz der anderen Männer ist ihm letztlich mehr als recht, erspart sie ihm doch nachdrücklichere Ansprüche oder gar Forderungen, deren Erfüllung schon aus Zeitmangelscheitern müsste. Also ignoriert er den Satz und holt sich etwas Camembert aus ihrer Küche.
Charlotte, die gerne mit Flirts auf Dienstreisen prahlt und darum wohl eher ohne Seitensprünge auskommt, hat ihre drei offiziellen Zweisamkeiten aufs intelligenteste gemanagt. Für Urs, den Schweizer Kernphysiker, empfindet sie eine rastlos fürsorgliche, fast schon mütterlich anmutende Liebe; der auf Fotos sehr markant aussehende Vollbärtige, in seinem Fach eine Kapazität, scheint immense Schwierigkeiten mit der Organisation des Alltags zu haben, so dass sie sich seit nunmehr fünfzehn Jahren regelrecht daran berauscht, ihm in allem zu helfen. Sie mobilisiert Anwälte, Makler, Steuerberater und Handwerker für ihn, korrigiert seine Briefe, ermahnt ihn zum Sport, und wenn Urs die Momente stummen Einverständnisses mit einem schmerzverzerrten Gesichtsausdruck oder einem Hüsteln unterbricht, sagt sie Termine ab. In Rollenspielen probt sie mit dem Scheuen wichtige Gespräche, die er mit Vorgesetzten oder Behörden zu führen hat, und kann sie nicht in die Schweiz fliegen, um nach seinem Haushalt zu sehen – »Bei dem liegen die Manuskripte in der Pfanne!« –, kauft sie ihm zwei Dutzend Boxershorts in einem Bio-Versand und schickt sie frisch gewaschen per Express. Sie treffen sich alle paar Wochen, und die Ferien und größeren Feiertage verbringen sie auf dem Gestüt seiner Schwester am Bieler See, wo sie den halben Tag lang über ihren wissenschaftlichen Büchern sitzen, am Abend vor dem Kaminfeuer essen und in der Nacht still nebeneinanderliegen, ohne jeden Sex. Der, sagtesie einmal, habe sich schon zu Beginn ihres Zusammenseins verabschiedet; der gute Mann sei offenbar überfordert von ihrer Weiblichkeit. Dennoch liebe sie ihn sehr.
Da Urs kaum fortzulocken ist von seinen Formeln und Theorien, würde ihr ein Mann fehlen für das, was sie unter einem prickelnden Großstadtleben versteht. Dafür gibt es dann Mark, den Regierungsbeamten, verheiratet, zwei fast schon erwachsene Kinder. Er, der an seiner trinkenden Frau leidet, vergöttert Charlotte und folgt ihr bereitwillig in die Philharmonie, in Kino- oder Theaterpremieren, in angesagte Clubs, Restaurants oder Galerien. Ein gedrungener Mann mit kräftigen Locken, getönt, dem man auf Fotos die tiefe, vom vielen Reden ausgeformte Stimme anzusehen meint, von der sie manchmal schwärmt, ist er einer der Alt-Achtundsechziger, für die der lange Weg durch die Institutionen zum Ziel wurde und die baldige Rente zur letzten Utopie. Mit ihm verbringt sie schon mal ein Wochenende in der Bretagne, beim Austern-Essen, oder sie machen kulinarische Touren durch irgendeinen Oliven-Süden, und dass er wie viele dieser Generation nie über seine Gefühle spricht, gar nicht zu sprechen vermag vor lauter Tagespolitik, ist offenbar kein Manko; es reicht ihr, wenn er sie begehrt – und sei es nur, damit sie ihn kurz halten kann. So jedenfalls drückte sie sich einmal aus, und als Wolf ihr Kälte vorwarf, sagte sie: »Nein, nein, wieso. Ich schlafe gern mit ihm.«
Da musste er lachen; das nun klang wie »Graupensuppe finde ich gar nicht so übel!«, und sie zuckte mit den Schultern. »Na ja, im Vergleich zu dir ist es einUnterschied wie Tag und Nacht.« Er also gibt den Latin-Lover in diesem Quartett, eine Rolle, die ihm schon deswegen entgegenkommt, weil sie ihm längeres Reden erspart; selten entspricht sie ihm wirklich, aber der leise Kitzel der Überforderung fügt seiner Kraft das Fehlende hinzu und macht die Befriedigung darüber, den Ansprüchen trotzdem genügt zu haben, tief. Doch selbst wenn er wie Charlotte den fast schon physikalischen Charakter ihrer Beziehung sieht – bei einer gewissen Distanz ist eine große Anziehung da, bei zu großer Nähe eine gewisse Abstoßung –, wünscht er sich manchmal mehr Zuwendung und ausschließliche Hingabe, als er auszusprechen wagt, und sei es nur jenes bisschen, das bewirkt, dass sie ihre Uhr abnimmt im Bett und nicht noch das Display des klingelnden Telefons checkt, während er schon in sie eindringt; dass sie ihn ebenfalls einmal massiert oder ihn kommen lässt ohne Gegenleistung und ihn zärtlich flüsternd bittet, noch nicht zu
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