Feuer brennt nicht
mietete sich dort ein Haus, um zu arbeiten. Sogar die Unmengen Wein trank er um der Arbeit willen, zur Stimulation, wie er sagte, und seine jeweilige Frau, oft ebenfalls Künstlerin – »eine große,ganz große«, solange er mit ihr zusammen war, »tragisches Halbtalent« nach der Trennung –, wimmelte Anrufer ab mit dem Hinweis: »Er kann jetzt nicht ans Telefon kommen. Wir müssen arbeiten!« Und sahen sie einander in Berlin, krempelte er sich die Ärmel hoch, um Wolf die wunden, von den Säurebädern seiner Radierungen verätzten Unterarme zu zeigen, oder zählte ihm die Blätter seiner graphischen Zyklen und die Kapitel seiner Romantrilogie vor – was den Jüngeren immer noch mehr an der eigenen Kraft zweifeln ließ. Dabei hatte er doch aus den Jahren im sogenannten Berufsleben vor allen Dingen eins gelernt: Menschen, die stets betonen oder gar klagen, wie viel sie getan hätten, haben trotz aller augenfälligen Erschöpfung nie genug gearbeitet; sie sagen damit nur, dass sie beschäftigt sind, wie alle, und schüren zudem den Verdacht, ihre Tätigkeit überfordere sie. Sollte es aber für einen Künstler, oder doch für jeden, nicht vielmehr darum gehen, seine Arbeit zu verkörpern ? Dann hat man es nicht nötig, seinen Eifer vor sich und anderen zu vergolden. Dann kann es kein zu viel oder zu wenig geben.
Als er das sagt, scheint der andere nicht zuzuhören, er kratzt die aus dem Schuh herausragende Stelle und saugt die Luft durch die Zahnritzen ein, woraufhin die Frau ein alarmiertes Gesicht macht. Doch er schüttelte kurz den Kopf, was wohl beruhigend gemeint ist, und während Wolf ihnen Wasser nachgießt, streckt Richard das Bein aus und legt den Fuß auf einen kleinen Bücherstapel auf dem Parkett. »Mann, der Bezirk hat sich ja richtig gemausert. In den sechziger Jahrenfuhr ich manchmal an den See, sogar noch vor dem Mauerbau. Da war hier alles zerbröckelt. Trotzdem war’s ein Privileg, in Friedrichshagen zu leben. Nur brave Leute und Stasi-Beamte durften hier wohnen. Oder systemtreue Künstler – Bildhauer, die blind den Marx-Bart meißeln konnten, Maler mit dunkelroten Paletten oder Naturlyriker.«
»Also ebenfalls Stasi-Mitarbeiter«, sagt seine Frau, und das lautlose, aber zähnebleckende Lachen, bei denen die beiden erst sich und dann Wolf ansehen, setzt so plump vereinnahmend Zustimmung voraus, dass der keine Miene verzieht. Außerdem ist er empört darüber, wie fraglos Richard seinen Fuß in dem alten Schuh auf den Büchern ruhen lässt, sei es nun, weil er ihn deutlicher ins Blickfeld rücken will oder weil er ihn schmerzt; jedenfalls empfindet er es als ungeheure Zudringlichkeit, und er senkt den Blick und starrt in sein Glas, als hätte man ihm ins Wasser gespuckt. Dabei will der andere vermutlich nur, dass er etwas dagegen sagt und sich vollends als kleinlichen Spießer entlarvt; was sind schon Bücher, besonders für einen, der sie schreibt. Doch Wolf geht in die Küche und öffnet eine Flasche Wein.
Eine der letzten Veröffentlichungen von Richard Sander, die er gelesen hat, war ein Zeitungsartikel über einen Ostberliner Kollegen, dessen Stasi-Mitarbeit entdeckt worden war; ein sympathischer Mann, ein großartiger Übersetzer, und es blieb offen, ob er jemandem geschadet hatte; viele seiner Berichte waren erfunden, und man bekam den Eindruck, dass der folgende Sturm im Blätterwald auch deswegen sowütend geriet, weil es sich hier um einen Nachzügler handelte; alle anderen prominenten Autoren oder Künstler waren längst enttarnt, und man empfand es offenbar als doppelte Schmach, dass der Betreffende, der immer als unauffällig und integer galt, sich nicht freiwillig bezichtigt hatte. Auch Richard, dessen Ausführungen man die eitle Freude darüber ansah, dass seine Meinung zum Zeitgeschehen gefragt war – andere, erwiesen Kompetentere waren des Themas längst müde –, auch Richard schlug in diese Kerbe, und zwar mit genau der selbstgerechten Unerbittlichkeit und inquisitorischen Wucht, die seit je ein Zeichen für eine verwandte Disposition ist. Hemmungslos nutzte er die Gelegenheit, endlich einmal im Recht zu sein, auf der moralisch reinen Seite, und hängte sogar ein Gedicht mit dem Titel »Schlammkauf« an. Bei genauerem Hinsehen hatten seine Sätze Tressen und kleine Schulterklappen, jeder Absatz knallte mit den Hacken, und dass er in einer vergleichbaren historischen Situation vielleicht ähnlich gehandelt hätte – diesen Gedanken nicht einmal zwischen den Zeilen
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