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Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
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Kerzenflammen zu schwanken beginnen, was die stumm dasitzenden Menschen an dem runden Tisch, zwei Frauen und einen Mann, um so regloser erscheinen lässt. Die Arme auf den Lehnen weißer Plastikstühle, sehen sie ihnen neugierig entgegen, und obwohl eine der Frauen raucht, ist die Luft erfüllt von einem intensiven Geruch, der Wolf entfernt an eine Süßigkeit aus der Kindheit erinnert; doch fällt ihm der Name nicht ein.
    Frau Seidenkrantz macht sie bekannt: Das Ehepaar Mauch, wenig älter als er, wohnt gegenüber und ist ursprünglich wohl nicht aus Berlin oder Brandenburg; jedenfalls klingt das »Rasenfläche« des Mannes in dem blauen Bürohemd, der hochfedert von seinem Stuhl, eher wie »Rosenfläsche«. Er stellt die Schuhe zusammen und neigt den akkurat gescheitelten Kopf, als er Alina die Hand gibt und seinem Nachnamen ein zackiges »Egbert« hinzufügt. Das Lächeln seiner Frau, die sitzen bleibt, sieht aus, als bitte sie um Nachsicht für ihn; zu einem schwarzen Flanellkleid mit kleinem weißen Kragen trägt sie Strümpfe mit einem Rautenmuster und dicke Pantoffel und krault dem hechelnden Webster das Fell.
    Die Gastgeberin wendet sich der anderen Frau zu, einer zarten Greisin mit Haarknoten und einer Zigarettezwischen den Fingern: ihrer Tante. Die großen grauen, ein wenig schalkhaften Augen liegen in bläulichen Höfen, und da sie sich gerade Schnaps in ein Wasserglas gießt, russischen Wodka, begrüßt sie die beiden nur mit einem Nicken. Frau Seidenkrantz runzelt die Brauen. »Menschenskind, ich fass es nicht! Musst du das Zeug denn wieder pur trinken? Denk mal bitte an dein Herz!« Doch die Angesprochene zieht an ihrer Filterlosen, zupft sich etwas Unsichtbares von der Bluse und sagt mehr mit dem Rauch als mit der Stimme: »Ich muss gar nichts, Erika. Aber du weißt doch, ich würde alles für dich tun, wenn ich einen Aschenbecher hätte.«
    Resigniert lächelnd stellt ihre Nichte eine kleine Kristallschale vor sie hin, und dann führt sie Wolf und Alina vor ein Spalier, das einem Klettergerüst in einer Turnhalle ähnelt und dessen Querstreben bis unter die gläserne Decke so dicht umwunden sind von den Armen einer offenbar sehr alten Kaktee, dass man das Holz kaum noch sieht. Wie eine pockige, in sich selbst verwühlte, nicht allzu dicke Schlange erscheint sie einem; in ihrem dunklen Grün gibt es hier und da vernarbte Schmisse, und wo sich ein Arm wohl einmal um einen Fenstergriff winden wollte, hat man ihn gekappt. Groß ist die Pflanze, größer als jeder von ihnen; die Rundungen an den oberen Seiten sehen aus wie stachelbewehrte Schultern, und dass sie aufschauen müssen zu der einzelnen, gut handbreit sich spreizenden lotusartigen Blüte mit den spitzen Kelchblättern und der reinweißen Krone, gibt dem Gewächs etwas vollends Hoheitliches und lässt sie nurangemessen erscheinen, die leise Ehrfurcht, mit der Frau Seidenkrantz wie nach dem Lüpfen eines Vorhangs mit gesticktem Wappen flüstert: »Das ist sie also, unsere Königin der Nacht.«
    Die Intensität des köstlich frischen Duftes, der von dem vanillegelben Schimmer auf dem Blütenboden ausgeht, hat etwas Atemberaubendes; ganz vertraut kommt er einem vor und gleichzeitig nie erlebt. Ähnlich wie der Sternenhimmel mehr ist als ein Himmel voller Sterne, enthält er eine Note, die deutlich über das Biologische hinausweist – und sei es zunächst nur, weil er als Signalstoff von dem erstaunlichen Niveau und der Feinheit der Wesen zeugt, die er anlocken soll und die in den geistigsten Tiefen ihrer Echoräume den Menschen sogar dann an Geschmack und Eleganz übertreffen, wenn es sich um Staubmotten handelt. Je länger man die Blüte anschaut, desto dunkler wird die Umgebung, und es ist wohl die Sonnenform der Krone, die den Eindruck verstärkt, dass es sich bei dieser vornehmen, nur in einer Nacht des Jahres ein paar Stunden lang aufgehenden Wüstenpflanze weniger um ein Blühen als vielmehr um ein Scheinen handelt, ein Licht, von winzigen Fliegen umzuckt.
    Frau Seidenkrantz weist auf eine andere Stelle des breiten Spaliers. Traubenartig angeordnet wirken die mehr als faustgroßen, deutlich schweren und prallen, von abwehrend spitzen Kelchblättern quirlig umhüllten Gewächse wie Früchte, altrosa und hellgelb; es sind aber Knospen. »Und ich dachte schon, die hätten es aufgegeben für dieses Jahr. Normalerweise wären sie vor sechs Wochen dran gewesen. Doch die kennen dieJahreszeiten besser als wir; wegen der späten Hitze haben sie sich

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