Feuer brennt nicht
Discounter, wo Waschbären eifrig schnaufend in den Müllcontainern wühlen. Die Seitenstraßen hat man zur Kaiserzeit mit Feldsteinen gepflastert, viele Zäune sind aus Matratzendraht, und die Gehwege, grasgesäumte Erde, werden von den Anwohnern sorgsam geharkt. Auf den großen Grundstücken stehen die schönen, meistens schlichten Häuser unter Kiefern in einem Abstand zueinander, der von vornherein jeden Unfrieden auszuschließen und nur der Stille Raum zu geben scheint. Auch die Flugzeuge, die hoch über dem Ort nach Schönefeld fliegen, bemerkt man kaum.
Früher wohnten hier prominente DDR-Schauspieler, und in der einen oder anderen Villa schulte die Stasi ihre Mitarbeiter oder beherbergte Gäste, die man besser im Verborgenen hielt, enttarnte Nazis etwa, auf deren Mitarbeit man vorerst nicht verzichten wollte, oder junge, wegen Mordes gesuchte Terroristen aus Westdeutschland, die bei Radeberger Pils und Thüringer Würsten auf neue Pässe oder Flugtickets in den Libanon warteten.
Es ist gerade einmal zweiundzwanzig Uhr, und doch sind die meisten Häuser schon dunkel; unwillkürlich sprechen Wolf und Alina gedämpft miteinander und nehmen den Hund, der ihnen nervös vorkommt, an die Leine. Im Gegensatz zu den Privatgrundstücken ist der kleine Goethepark, an dem Frau Seidenkrantz wohnt, nicht sehr gepflegt; Brennnesselstauden umwuchern die morschen Bänke, zwischen den Akazien wächst wilder Weizen. Die Grannen glänzen im Licht der wenigen Laternen, deren Kronen nicht zerschlagen sind, und als Webster plötzlich stehen bleibt, eine Pfote anhebt und den Kopf vorreckt, wobei er am ganzen Körper zittert, bricht ein Wildschwein aus dem Gestrüpp, eine schlanke, etwas hochbeinige Bache, und rennt mit gesträubten Nackenborsten davon. Das Klacken ihrer Klauen auf dem Pflaster klingt, als trabe sie über Bakelit.
Frau Seidenkrantz lächelt strahlend und öffnet ihnen die Haustür weit. Über dem Rock und der cremefarbenen Bluse trägt sie eine gestärkte weiße Schürze mit spitzenbesetzten Trägern, und da Wolf den immer noch knurrenden Hund halten muss, er zerrt ihn fast von der Treppe, gibt Alina ihr die Blumen. Entzückt schlägt sie die Hände zusammen, und ihr leises, fast flüsterndes Sprechen soll sicher Ausdruck atemloser Freude sein und kommt ihm doch vor, als wolle sie die Nachbarn nicht unnötig aufmerksam machen. Trotz des Geruchs nach frisch gebackenem Kuchen in den Räumen glaubt er einen leichten Alkoholatem an ihr wahrzunehmen und eine gewisse Likörseligkeit im Blick. Er bedankt sich für den Anruf und die Einladung, und sie schließtdie Tür und sagt: »Na, hoffentlich sind Sie nicht enttäuscht. Ich hab jetzt nur Bouletten gemacht. Und einen Strudel aus der Truhe.«
Das unscheinbare Einfamilienhaus erweist sich als sehr geräumig. Nur von einer Stehlampe und einem Aquarium beleuchtet, macht das verwinkelte Wohnzimmer voller Topfpalmen, Ledersessel und Sofas den Eindruck, als wäre es im Lauf der Zeit immer mal wieder erweitert worden, mit immer anderen Baustoffen; es gibt verschiedene Bodenniveaus und holzverschalte oder weiß verklinkerte oder stoffbespannte Wände, an denen Teller, Barometer und Uhren hängen, und als Wolf sich verblüfft zeigt über die lobbyartigen Ausmaße, sagt Frau Seidenkrantz: »Na ja, das halten Sie mal sauber! Aber mein Mann ist doch vom Fach, der mauert und zimmert in jeder freien Minute. Vor lauter Anbauten sehen Sie kaum noch das Haus. Die Nachbarn fragen schon, wann er den angrenzenden Friedhof überdacht. Doch jetzt ist er erstmal in Bulgarien.«
Sie öffnet eine Tür und führt sie durch einen schmalen, nur vom Mondschein erhellten Fenstergang voller Regale, auf denen Kakteen wachsen, unzählige. Einige sind winzig wie Fingerhüte, andere dick wie Gurken oder auch Kürbisse, und hier und da ist eine zartrosa oder gelbe oder grellrote Blüte zu sehen; nach Sorten sind sie geordnet und innerhalb der Sorten nach Größen, so dass trotz der ulkigen oder auch obszönen Formen der Eindruck eines Archivs entsteht; an einigen Stacheln stecken Zettel. »Manchmal kann man sie wachsen hören«, sagt sie. »Das ist, als ob sie flüstern.«
Hinter einer halbtransparenten Plane, einem ehemaligen Duschvorhang, brennen Lichter, und Frau Seidenkrantz rafft ihn zur Seite und weist in den Raum. Der eigentliche Wintergarten ist ein gläsernes Oval mit spitzer Kuppel, vollgestellt von Zitrusbäumen, Kamelien und farnartigen Gewächsen, deren Schatten durch die jäh bewegten
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