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Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
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Zeit gelassen. Wenn es gutgeht, blühen alle noch auf heute Nacht. Aber man weiß nie … Manchmal genügt schon der Hauch eines Wetterumschwungs und ein Kerzenlicht zu viel, und sie lassen es bleiben. Oder auch Zigarrenrauch. Dann muss man wieder ein Jahr warten.« Die Hände an den Hüften, dreht sie sich nach ihrer Tante um. »Gerda-Liebes? Hast du mich verstanden?«
    Die aber schüttelt den Kopf, wobei ihre schlaffen Ohrläppchen wackeln. »Nein, Kind, da muss ich dich enttäuschen. Ich habe gerade Herrn und Frau Mauch zugehört, die etwas sehr Interessantes sagten. Etwas Unanständiges aus ihrem Club. Ich erzähl’s dir, wenn ich mich daran erinnere …«
    Frau Seidenkrantz seufzt und weist auf die beiden leeren Plastikstühle; Kissen in gehäkelten Bezügen liegen darauf, und nachdem ihre Tante ihnen Bier in schmale, mit roten Herzen bedruckte Gläser geschenkt hat, neigt sie sich Wolf zu und sagt: »Sie sind also der Schriftsteller? Da können wir froh sein, dass Sie so volles Haar haben und ab und zu die Erika brauchen, stimmt’s? Sonst hätten wir uns kaum getroffen. Ich wohne da drüben, in der Heinrich-Mann-Straße – kennen Sie den? Den mag ich viel lieber als seinen gebügelten Bruder. Der war nicht so ein verkniffener Kostverächter, in keiner Hinsicht, und der größere Autor sowieso … Ich hab mal gehört, dass er immer in Konflikte kam, wenn er Geld hatte in seiner Lübecker Jugend. Kaufe ich mir Marzipan, dachte er, oder besuche ich die Mädchen. Das wäre natürlich Sünde, aber wenn ichkeusch bleibe und Marzipan esse, kriege ich Bauchschmerzen, was Mama und Papa doch beunruhigen würde. Also bleibe ich besser gesund und gehe ins Puff. – So war der!«
    Herr Mauch, der Nüsse aus einer Schale knabbert, stößt etwas Luft durch die Nase und schüttelt den Kopf, und auch ihre Nichte hält sich scheinbar schockiert eine Hand vor den Mund, lächelt aber hinter den Fingern. Tante Gerda blickt in ihr Glas. »Aber wenn Sie Schriftsteller sind, dann muss Ihnen doch dauernd etwas einfallen, oder? Das stelle ich mir ganz schön schwer vor. Fällt ihnen was ein?«
    Wolf trinkt einen Schluck von dem fast schwarzen Bier. »Ach Gott«, sagt er, »sehr phantasievoll bin ich wohl nicht.«
    »Na, sehen Sie! Mir fällt auch nichts ein, schon lange nicht mehr. Und wann immer ich was lese, kommt es mir bekannt vor. Aber warum soll es mir mit Romanen anders gehen als mit Menschen. Früher hat man oft gesagt, das Schlimme am Altern ist, dass man jung bleibt, und eine Zeitlang hätte ich das glatt unterschrieben. Faltiger sahen immer nur die anderen aus. Aber wissen Sie, was wirklich schrecklich ist? Dass es so lange dauert. Dass der Tod so ein lahmer Esel ist. – Wer trinkt denn hier ständig mein Glas aus? Sie, Herr Mauch? Haben Sie nicht was an der Lippe?«
    Eine Digitalkamera auf ein Stativ schraubend, holt der Angesprochene theatralisch Luft, als wollte er protestieren, langt aber auf den Tisch und schenkt ihr etwas Wodka nach. Seine Frau, die zwei Kerzen an sich herangezogen hat und in einem Modeheft blättert,lächelt mit einem Mundwinkel und sagt: »Früher war ich auch mal in so einem Bezirkspoetenseminar. Was tat man nicht alles, wenn man kein Westfernsehen kriegte. ›Lasst den Kulturfaden nicht abreißen‹, hieß es immer, sogar im Betrieb. Da wurden Prosawettbewerbe veranstaltet nach dem Motto ›erzählt, wie ihr unseren DDR-Alltag erlebt und mitgestaltet, wie ihr das Werk der Väter fortsetzt, was unsere Gesellschaft lebens- und verteidigenswert macht‹, und so weiter. Und da hab ich geschrieben: ›Wir lassen den Kulturfladen nicht abreißen‹. Ein Rechtschreibfehler, Ehrenwort; ich komm ja aus der Landwirtschaft. Trotzdem war ich weg vom Fenster.«
    Lauter lachend als alle anderen, entblößt sie eine aparte Lücke im Gebiss, und um von sich und seinem Tun abzulenken, fragt Wolf ihren Mann nach seiner Arbeit. Scheinbar verdutzt, überhaupt angesprochen zu werden, schluckt der hart an den Cashew-Kernen; dabei legt er sich eine Hand auf die Brust. »Ach«, sagt er leise, »ich war nur Kellner. In Leipzig, Hotel Merkur. ›Ein froher Gast ist niemands Last.‹ Nach der Wende haben wir hier geerbt.«
    Seine Frau, die nicht aufblickt von ihrem Blatt, lässt ein verärgertes Schnalzen hören, und als sie ihn leise korrigiert – Ober kellner sei er gewesen –, lächelt er vage und erwidert deutlich für Wolf und Alina: »Aber meine Gutste, unten und oben gab’s doch nicht bei uns, hast du das

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