Feuer der Götter: Roman (German Edition)
Namen verflucht hatte, zwischen zusammengepressten Zähnen ausstoßend, die ein Beißholz hielten. So oft, so oft.
»Ich war dir liebende Mutter und strafender Vater«, sagte sie. Ihre Fingerspitzen waren kühl. So kühl wie stets, wenn sie das Messer geführt hatte. »Gedenke meiner in Ehrfurcht.«
»Das werde ich«, murmelte er.
Dicht trat sie an ihn heran und hob die Lippen an sein Ohr. »Es ist gut«, sagte sie leise. »Jetzt ist alles gut, Royia. Alles ist gut.«
Sie nahm seinen Kopf zwischen die Hände. Er neigte sich, damit sie seine Stirn küssen konnte.
Alle erhoben sich. Xocehe schenkte ihm einen letzten Blick und schritt zur Brücke. Auch die anderen verließen das Felsplateau, nur sein Priester blieb zurück. Es war so weit.
Noch einmal kniete der Priester, um Royias Füße zu küssen. Dann hob er die Hände und versank in Schweigen. Auch eine fingerlange Biene, die vor seinem Gesicht herumschwirrte, hielt ihn nicht von der Anbetung des neuen Gottes ab. Royia lauschte in sich hinein, ob er die Gedanken bereits empfing, doch nichts drang zu ihm.
»Bitte komm mit.« Der Toxinac erhob sich und wandte sich dem Berg zu.
Royia folgte ihm. Das Tor in der Felswand ragte vor ihnen auf und verschluckte sie.
Im Innern des Berges war er nie gewesen, nie hatte man ihm davon erzählt. Dies konnte noch nicht der Jadegang sein; es war eine schmale Höhle, in der es abgestanden roch und Fledermäuse vor den Eindringlingen flatternd aufschreckten. Eine Treppe war in den Fels gehauen. Sie mochte tausend Mal tausend Jahre alt sein, so glatt waren ihre Stufen. Der Toxinac erklomm sie trotz der Dunkelheit mühelos. Bald sah Royia die Hand nicht mehr vor Augen. Er verlor alles Gefühl für Zeit und Weg.
Er wünschte sich, die Zeit für einen Tag anhalten zu können. Noch einmal in Xocehes Hängematte zu liegen, ihren sehnigen geschundenen Körper unter seinem. Noch einmal den Schweiß von ihrer Haut zu lecken. Zu spüren, dass ihre Hände auch streicheln konnten.
Ich habe schon einigen Göttern diesen Trost geschenkt, Royia. Aber keinem so gern wie dir.
Sie fürchtete das Andersartige seines Körpers nicht; sie war ja ebenfalls eine Göttin. Seit er vor einigen Jahren in den Stand der Männer erhoben worden war, hatte er auch bei Mädchen seines Stammes gelegen – einige hatten es gewagt, wenigstens für eine Nacht. Aber jede – jede – hatte ihm am nächsten Morgen mit bleichem Gesicht gesagt, dass sie ihn nicht wiedersehen wollte.
»Weiter kann ich dir nicht vorausgehen, edler Tique«, riss ihn die Stimme des Toxinacen aus seinen Erinnerungen. »Folge weiter dem Gang, er führt dich unmittelbar vor den Thron des Herrn der Götter. Wirf dich vor ihm nieder, wie man es dich gelehrt hat.«
»Was wird er tun?« Allein die Vorstellung, vor Toxina Ica zu treten, den Einen, den Ewiglebenden, den Sonnengott, bereitete Royia Magengrimmen. So hoch wie ein Gott über den Menschen stand, so hoch stand der Gott-Eine über den Göttern.
»Er wird dich in den Kreis der vierzehn Götter aufnehmen – wie er das genau tun wird, weiß ich nicht, Erwählter. Aber sie alle werden bereitstehen, dich als ihren Bruder zu empfangen. Immer, wenn einer aus ihrer Mitte geht, weil seine Zeit gekommen ist, reißt es eine Lücke in ihre Herzen. Du kannst sie nicht heilen. Aber du wirst sie füllen.«
Royias Herz schlug heftig. Dafür war er auserwählt worden. Er hörte mehr, als dass er es sah, wie der Toxinac an ihm vorbei die Treppe hinabging. Seine Schritte verhallten in der Tiefe.
Vorsichtig stieg er weiter hinauf. Nach wenigen Stufen berührte seine ausgestreckte Hand ein Hindernis. Es schien, als endete die Treppe vor einer Wand. Wie konnte das sein? Er tastete den Fels ab – nichts als rauhes Gestein. Geh nicht durch den Jadegang, kam ihm die lächerliche Botschaft in den Sinn. Mit einer ärgerlichen Handbewegung wischte er den leisen Zweifel beiseite. Man hatte ihm nie gesagt, wie es hier aussah, also konnte es sich auch nicht als falsch herausstellen. Aber was sollte er tun? War dies ein letztes Hindernis, das zu überwinden den Beweis liefern sollte, dass er, Royia, wirklich erwählt war?
Noch war er in seine menschliche Gestalt eingeschlossen, und so fühlte er sich auch. Was hatten die anderen Erwählten hier getan? Er strich sich über die fröstelnde Schulter und ertastete einige der Narben, die seinen Körper übersäten. Wenn er die Gabe nutzte, derentwegen er erwählt worden war, könnte er wenigstens sehen,
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