Feuer der Götter: Roman (German Edition)
zu ihm und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige.
»Zieh das an.« Die Frau legte Naave ein Bündel aus grobem Rindenfasergeflecht hin und kehrte ans Kochfeuer zurück, wo sie fortfuhr, die Fische in stinkendem Affenhodenfett zu braten. Naave huschte hinter die Hütte und entledigte sich ihrer seidenen Fetzen, die einmal ihr priesterliches Kleid gewesen waren. Der Kittel ähnelte denen, die sie früher getragen hatte: Er reichte kaum bis zu den Knien, war ärmellos und wurde mit einer groben Schnur um die Mitte gebunden. Auch fühlte er sich ähnlich rauh an. Sie war froh, nicht länger darauf achten zu müssen, ob die Risse in ihrem Kleid mehr entblößten, als ihr lieb war.
Den Streifen, den Royia um ihre Brust gewickelt hatte, warf sie fort. Von der Pfeilwunde war nur noch ein wenig Schorf geblieben. Bald bin ich zurück, dachte sie, und ohne diese Narbe würde ich womöglich glauben, das alles sei einer anderen geschehen.
»Hol mir das«, befahl die Frau und deutete auf das seidene Bündel. Yijma rannte und brachte es ihr. Sie breitete den Stoff vor sich aus, betrachtete ihn eine Weile und begann ihn mit einem Steinmesser zu zerschneiden. Was beschädigt war, warf sie ins Feuer. Schließlich lagen einige ordentliche Streifen vor ihr, die sie mit geschickten Händen zu einem Strang verflocht und damit ihre Haare band.
Sie war die Anführerin dieser Sippe, und sie hatte sich mit knappen Worten einverstanden erklärt, Naave auf die andere Flussseite zu bringen. Nicht aus Dankbarkeit für die erlegten Flussgründler, sondern weil man ohnehin morgen früh übersetzen wollte. Weshalb, erklärten die Düsteren ihr nicht. Sie gaben sich misstrauisch und schweigsam, und untereinander redeten sie mit gedämpften Stimmen. Nur Yijma und zwei andere Kinder waren ausgelassen. Der Junge erklärte jedem, der es nicht wissen wollte, wie er zu der Schlange gekommen war. Auch die Herrin, seine Mutter offenbar, schaffte es mit ihren Schlägen nur kurz, ihn zum Schweigen zu bringen.
Er brachte Naave eine Schale mit einem Stück Fisch, dazu eine Kalebasse mit Fruchtsaft, lächelte sie verschwörerisch an und trollte sich wieder. Die Frauen warfen einen fertig gebratenen Fisch ins Wasser – ein Opfer für den Gott-Einen, den sie den Alten nannten. Abseits von ihnen hockte sich Naave an den Rand des Floßes und bettete die Schale auf dem Schoß. Schnell hatte sie ihren Anteil verzehrt und den strengen Geschmack des Affenfetts mit dem Saft hinuntergespült. Dann legte sie sich nieder, denn die Nacht brach herein und sie war todmüde. Die kleine Sippe scharte sich ums Feuer und unterhielt sich mit leisen Gesängen und Geschichten. Niemand beachtete Naave.
Sie lauschte dem Knacken des Feuers, dem Rascheln des Schilfs und dem Rauschen des Blattwerks der Bäume. Aus dem Wald wehten die verschiedensten Tierlaute herüber, und über ihr surrten die Mücken. Naave beschäftigte sich noch eine Weile damit, nach ihnen zu schlagen oder ihre Stiche aufzukratzen. Dann glitt sie in den Schlaf hinüber. Sie dachte noch an den fetten Dämon, Muhuatl, vor dem sie geflohen war. Muhuatl, der ihre Mutter auf dem Gewissen hatte. Muhuatl, der Wahnsinnige. Doch ihre letzten Gedanken galten Royia. Sie sah seine geschmeidige Gestalt, sah ihn, wie er das Haar hinter sich warf, sah seine geschwungenen Brauen über den dunkelrötlichen Augen. Royia, den schönen Gott, der sein Zuhause verloren hatte. Sein ganzes Leben. Schlimmer noch: den Sinn seines Daseins. Und er wusste nicht einmal, warum.
Weiß er überhaupt, warum ich fortgelaufen bin? Es war ihr letzter klarer Gedanke. Ein Schmerz durchzuckte sie, ein Sehnen; sie wusste nicht, wonach. Dann war sie eingeschlafen.
Die Morgensonne verwandelte den Fluss in bläuliches Silber. Ein Schwarm kreischender Papaccivögel flog aus dem Schilf, lange dunkle Schwanzschleppen hinter sich herziehend. Die Kinder hatte Aufregung erfasst, denn es ging über den Fluss. Männer und Frauen schoben lange Stangen ins Wasser und lehnten sich dagegen, um das schwerfällige Gefährt voranzubringen. Naave bot ihre Hilfe an, doch sie schüttelten nur abweisend die Köpfe. So ließ sie die Beine vom Rand des Floßes baumeln und sah in die Ferne, wo über dem Morgendunst die weißen Türme des Tempels zu schweben schienen. Die Stadt selbst blieb verborgen; zu weit war sie entfernt. Naave schätzte, dass man zu Fuß drei oder vier Tage brauchte, sie zu erreichen.
Und dann?
Sollte sie zurück in ihr altes Dasein? Zurück in
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