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Feuer der Götter: Roman (German Edition)

Feuer der Götter: Roman (German Edition)

Titel: Feuer der Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Simon
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ihren Verschlag im Graben, wo sie sich in Sorge um das Brot des nächsten Tages in den Schlaf wälzen musste? Wollte sie das wirklich, nun da sie ein anderes Leben kennengelernt hatte? Welches andere Leben?, fragte sie sich sofort. Sich durch den Großen Wald zu schlagen, war doch kein anderes Leben. Das war nur eine Art Abenteuer, das – den Göttern sei Dank – glücklich ausgegangen ist.
    Sie ahnte, dass dieser Eindruck mit Royia zusammenhing. An ihn zu denken, fühlte sich zugleich wohlig und schmerzlich an. In jedem Falle verwirrend, und sie schüttelte den Kopf über sich selbst. Nun, dieses lästige Gefühl würde schon vergehen, sobald sie wieder dort war, wo sie hingehörte. In die Stadt!
    Und dann?
    Sollte sie zurück in den Tempel? Eine Priesterin werden, wie ihr Vater es gerne sähe? Irgendwann die Hohe Priesterin? Naave sah an sich hinunter, befingerte den groben Kittel und die zahllosen Kratzer, blauen Flecke und aufgeschürften Stellen auf der gebräunten Haut. Ihre Hände waren rauh, die Nägel gerissen und schmutzig. Nein, so sah keine Priesterin aus; daran änderten auch Seidenstoffe nichts.
    Und wenn sie zurückkehrte, würde sie doch noch einen Menschen opfern müssen. Den Opferdolch in Royias Herz zu stoßen, war ihr nicht gelungen – vielleicht war das alles ja gar nicht der Wille der Götter? Hatte denn nicht Tique sie davor bewahrt, im Tempel zu bleiben?
    Mädchen! Tique ist zurzeit tot!
    Naave raufte sich die Haare. Das alles war so schrecklich verwirrend. Noch ein Grund, nicht in den Tempel zu gehen, wo sie sich mit diesen Fragen würde beschäftigen müssen …
    Die aufblitzende Sonne lenkte ihren Blick auf einen golden schimmernden Hang nordöstlich der Stadt. Dort hatte sich der Morgendunst über den weitläufigen Prachthäusern und Gärten aufgelöst. Ja, Naave wollte, was sie sich zeit ihres Lebens ersehnt hatte: dorthin, ins feine Viertel, das an solchen Tagen wieder einmal bewies, weshalb man es das Sonnenviertel nannte. Naave würde sich den ihr zustehenden Anteil ihrer Belohnung für das Ausliefern des Feuerdämons holen. Und dann eine kleine Almaraherde kaufen, eines der bescheideneren Häuschen im Sonnenviertel kaufen und dann sehen, was das Leben dort für sie bereithielt. Ihrem Vater würde sie eine Botschaft in den Tempel schicken, dass sie seine Bitte, Priesterin zu werden, abschlug. Er hatte ja gesagt, dass er noch in Saft und Kraft stand, also konnte er sich eine weitere Nebenfrau zulegen. Soll er das Problem der Amtsnachfolge doch selber lösen!
    Ja, so fühlte es sich richtig an. Naave bekräftige ihren Entschluss mit einem entschiedenen Kopfnicken. Alles würde gut werden.
    »Wir sind drüben!«, rief Yijma ihr zu. Er deutete auf eine ausgedehnte Sumpflandschaft voller Schilf, hoher Gräser und blühendem Kraut. Die Düsteren banden das Floß an einem Steg aus Rohrgeflecht fest, luden Säcke auf ihre Schultern und machten sich auf den Weg durch den Sumpf.
    Naave folgte ihnen über verschlungene, aus Schilfrohrbündeln gefertigte Wege. Über einen dieser Wege rumpelte ein Eselskarren. Sein Lenker sprang herunter, lud einen in Matten gehüllten und verschnürten Leichnam ab und ließ ihn in das erdige Wasser gleiten. Woanders lief eine Frau, einen großen Tonkrug im Arm. Der Wind trug ihre Klage herüber. Sie wiegte das Gefäß, die Wange daran gebettet, und kniete dann nieder, um es untergehen zu lassen. Naave verbot sich, daran zu denken, wie sie einst auf einem solchen Steg gelegen hatte, zwei Tage lang, und hinabgestarrt hatte auf die Stelle, wo ihre Mutter begraben worden war – in einem anderen Totensumpf westlich der Stadt. Sie war nicht dabei gewesen, weil sie sich nach dem Feuer tagelang versteckt hatte; andere Bewohner des Grabens hatten ihr später die Stelle gezeigt.
    Die Gruppe der Düsteren musste an den Rand des Stegs ausweichen, als der nächste Totenkarren kam. Der verschnürte Leichnam war mit kostbar besticktem Tuch bedeckt. Eine Silbermaske war dort befestigt, wo sich das Gesicht befand. Die Menschen, die ihm folgten, waren in Blau, die Farbe der Trauer, gehüllt. Die Frauen rauften sich die offenen Haare, während sich die Männer gegen die Brust schlugen und dumpfe Laute ausstießen. Die Düsteren eilten sich, unauffällig an ihnen vorbeizukommen. Naave blickte zurück: Der Tote wurde mitsamt seinen Kostbarkeiten in den Sumpf hinabgelassen. Wahrscheinlich stammte er aus dem Sonnenviertel.
    Am Rand des Totensumpfs erhob sich eine Hütte. Ein

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