Feuer der Götter: Roman (German Edition)
Matte und sauberen Decken. Eine dürre Gestalt, gehüllt in ein graues Gewand, lag darauf, den Rücken dem Eingang zugewandt. Dunkle Haare, von silbernen Strähnen durchzogen, lagen wirr um ihre Schultern.
»Chinanxi«, rief die Wirtin leise. »Chinanxi, sie ist hier, wach auf!«
Langsam kam Leben in die Frau. Sie drehte sich auf der knirschenden Matte und hob schwere Lider. Zwei trübe Augen musterten Naave.
»Sie ist es«, hauchte sie.
Die Wirtin gab Naave einen Stoß und drückte hinter ihr die Tür zu. Naave hörte sie die Treppe hinabsteigen, während sie die Liegende, die sich nun langsam aufsetzte, verwirrt ansah.
Ihr schien es, als lege sich ein bronzener Ring um ihren Hals. Hinter ihren Augen pochte es.
Ich muss mich irren. Ihr Götter, lasst es keinen Traum sein. Es wäre zu schlimm, wieder aufzuwachen.
»Tante … Nanxi?«
Mit einer knochigen Hand strich sich die Frau durch die Haare, im vergeblichen Versuch, Ordnung hineinzubringen. Kurz senkte sie die Lider, als schäme sie sich für ihre Erscheinung. »Ich bin es, Naave«, sagte sie rauh. »Ich freue mich, dass du mich wiedererkennst. Es ist lange her …«
Naave wollten die plötzlich wackligen Beine wegsacken. Sie wankte, den Kopf eingezogen, da die Decke so niedrig war, zu der Bettstatt und fiel auf die Knie. Ja, zu ihr aufzuschauen wie ein kleines Kind, erleichterte die Erinnerung. Diese großen Augen, in denen so viel Schmerz stand … Die schmalen Lippen, die selten gelächelt hatten. Die langfingrigen Hände, die Naave umso zärtlicher über den Kopf gestrichen hatten.
»Tante Nanxi«, wisperte Naave. Wie vertraut die Worte doch klangen … Die Erinnerungen kamen zögerlich. Tante Nanxi, so hab ich sie genannt, obwohl sie nur meine Amme war, nicht Mutters Schwester. Tante Nanxi, auf deren Schoß ich gesessen habe … Tante Nanxi, Mutters Freundin. Tante Nanxi, die irgendwann fort gewesen war.
»Wo warst du all die Jahre? Etwa hier?«
Nanxi – oder Chinanxi, wie der Hohe Priester sie genannt hatte – schüttelte den Kopf. Sie schwieg, und Naave glaubte zu ahnen, was hinter dieser faltigen Stirn vorging: Jetzt ist sie da, und alle mühevoll zurechtgelegten Worte sind fort. Der Druck hinter den Augen löste sich in Tränen auf; Naave entrang sich ein sehnsuchtsvolles Aufschluchzen. Sie streckte die Arme aus, und ihre Amme beugte sich vor und umfing sie. Ganz wie früher.
»Oh, Tante Nanxi«, heulte Naave an der Brust, an der sie einstmals gesaugt hatte. »Eines Tages warst du weg, und ich dachte irgendwann, du wärst nur eine Gestalt aus Mutters Geschichten gewesen.«
»Geschichten, o ja«, murmelte Nanxi, und es klang eher bitter als wehmütig. »Ja, so war es irgendwie auch.«
Die knochige Hand strich über Naaves Haare, über ihren Rücken, dann wieder hinauf, während die andere fest um sie lag. Naave ließ die Tränen in das verwaschene Grau des Gewandes fließen. Nanxis Duft war wie sie gealtert und überlagert von Cupalrauch, der in dem Kleid und in den Haaren hing; dennoch kam er Naave vertraut vor. Er war wie ein Tor in die Vergangenheit. Sie wusste wieder, wie es war, die Hand in die der Amme zu legen. Sie wusste wieder, wie sich Nanxis Lachen anhörte, obwohl es so selten gewesen war. Sie erinnerte sich an die Stimme der Mutter, wie sie mit Nanxi sprach. Naave schloss die Augen, sah die Mutter vor sich und stellte sich vor, sie neben Nanxi sitzen zu sehen. Als sie die Lider hob und der Platz neben der Amme leer blieb, versetzte es ihr einen schmerzhaften Stich, doch nur kurz. Denn Nanxi – Nanxi war da und lächelte auf sie herab. Es tat so gut, sich von ihr halten zu lassen und zu weinen. Um die verlorene Kindheit, um die Mutter. Und um den eigenartigen, schwer zu begreifenden Verlust, der auf ihrer Seele lastete, seit sie von Royia fortgelaufen war.
O Tique, jetzt habe ich es mir eingestanden. Ich vermisse ihn. Und zwar schrecklich.
»Naave? Was hast du?«
Nanxi berührte ihre Wange und drehte Naaves Kopf, so dass sie ihr ins Gesicht blicken konnte. Naave legte eine Hand auf ihre. »Nichts. Ich dachte nur an jemanden. An einen … einen …«
»Ja?«
Naave würgte an dem Wort. »Einen Freund«, presste sie hervor. Und wollte vor Schreck wieder Tique anrufen, dass sie einen Feuerdämon so genannt hatte. Tante Nanxi wäre sicher entsetzt.
Nanxi fuhr fort, ihr über den Kopf zu streichen. Sie spreizte die Beine, und Naave kauerte sich dazwischen, die Wange und einen Arm auf einem dünnen Schenkel. Es war,
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