Feuer der Leidenschaft
sein mochte — es konnte mit einem Schlag vernichtet werden, wenn ihr Vater zu kritisch mit ihm war.
Selbst sie sah ja seinem Urteil nicht ohne Bangen entgegen. Sie hatte ihren Vater bisher noch nie um diese Art von professioneller Kritik gebeten. Schon gar nicht bei zwei Gemälden von einem so überaus intimen Charakter, was ihre Thematik betraf.
Sie gingen zuerst in Rebeccas Studio. Sie deutete auf das Porträt von Kenneth, das auf der Staffelei vor dem Fenster stand.
»Voilä, >Der Korsar<.«
Sir Anthony betrachtete es eingehend. »Exzellent. Das Gemälde ist heroisch und menschlich zugleich. Ihr werdet nie besser aussehen als auf diesem Bild, Kenneth. Es wird zweifellos ausgestellt und ein großer Publikumserfolg werden.«
Ein amüsiertes Funkeln in den Augen ihres Vaters sagte ihr, daß er darin die gleiche Sinnlichkeit erkannte, die Lavinia in diesem Bild gesehen hatte. Zum Glück gab er keinen Kommentar dazu ab.
Er blickte sich im Studio um. »Was willst du noch einreichen?«
Sich erheblich nervöser fühlend als bei dem ersten Bild, führte sie ihn nun zu dem Gemälde von der stürzenden Frau, das auf einer anderen Staffelei an der Längsseite des Raumes stand.
»Ich denke, daß ich es >Transfiguration< nennen werde«, sagte sie.
Beide Männer starrten nun auf die Leinwand, und in der Wange ihres Vaters begann ein Muskel zu zucken.
Die meisten Betrachter würden das Gemälde wohl als eine romantische Beschreibung eines exotischen Kultes gehalten haben. Der Schauplatz des Geschehens war offensichtlich das Innere eines Vulkans auf einer pazifi-schen Insel. Die untere Hälfte des Bildes war eine bro-delnde Hölle aus geschmolzener Lava und giftigenDämpfen.
Am Rand des Kraters hoch darüber war eine Gruppe von in leuchtend bunte Gewänder gekleideten Eingeborenen versammelt, die zusahen, wie eine junge Frau sich den heidnischen Göttern des Vulkans opferte. Sie fiel mit ausgebreiteten Armen diesem kochenden Inferno entgegen, und ihre schwarzen Haare und der um die Hüften geschlungene farbige Sarong flatterten um ihren schlanken Leib. Das Gesicht des Mädchens hatte einen verzückten Ausdruck von äußerster Hingabe, die zugleich die unbesiegbare Kraft eines Wesens war, das sich jenseits aller menschlichen Bosheiten und Begierden befand.
Dieses Gemälde war zweifellos von Kenneths Bemerkung inspiriert worden, daß ein Mensch keine Angst mehr empfand, wenn der Tod unausweichlich zu sein schien.
Rebecca hatte die unbezwingbare Kraft des Geistes im Angesicht des Todes porträtieren wollen — die seelische Heiterkeit im Herzen der Tragödie. Irgendeine geheimnisvolle Alchemie hatte die Trauer um ihre Mutter in diese heidnische Prinzessin verwandelt. Aber obwohl ihr das in künstlerischer Hinsicht perfekt gelungen war, hatte sie mit dem Bild nicht den Seelenfrieden gefunden, nach dem sie so sehr verlangte.
Sir Anthony schluckte schwer. »Man wird es nicht ganz verstehen, aber dennoch sehr bewundern. Du hast dich selbst übertroffen. Kenneth, nun seid Ihr an der Reihe.«
Als ihr Vater sich umdrehte und auf die Tür zubewegte, sah sie Tränen in seinen Augen blinken. Sie hätte wissen müssen, daß er verstand, was sie damit sagen wollte.
Kenneth sagte leise: »Es ist überragend«, bevor er Sir Anthony folgte.
Sie warf noch einmal einen Blick auf ihr Porträt des Korsaren. Heroisch und doch menschlich. Keine so üble Beschreibung von Kenneth. Dann eilte sie den beiden Männern nach, die sich inzwischen in das kleine Studio am Ende des Speichers begeben hatten. Sie traf dort in dem Moment an, wo Kenneth die letzte von einer Reihe von Kerzen anzündete. Mit einem raschen Rundblick überzeugte sie sich davon, daß das Gemälde von Lilith nirgendwo zu sehen war. Sie fragte sich, wie die Reaktion ihres Vaters wohl ausfallen würde, wenn er es jemals zu Gesicht bekam.
Wahrscheinlich würde dann in Mayfair ein neuer Vulkan entstehen.
Kenneth hob eine mit der Vorderseite gegen die Wand gelehnte Leinwand hoch und stellte sie auf das Bett, sie nun mit dem Rahmen gegen die Wand lehnend. Einen Moment lang erinnerte sie sich daran, daß sie ihm auf diesem Bett ihre Unschuld geopfert hatte. Dann blickte sie auf das Bild, und alle ihre persönlichen Gedanken waren verschwunden.
Er hatte eine Hinrichtung gemalt. Es war eine Nachtszene, so daß weite Bereiche der Leinwand in einem Ungewissen Dunkel blieben, während ein halbes Dutzend spanischer Guerillas, die vom französischen Hinrichtungskommando hingemetzelt
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