Feuer der Leidenschaft
wurden, in ein unheimliches Licht getaucht waren. Sie vermutete, daß das Gemälde in sehr kurzer Zeit entstanden sein mußte, denn der Stil war so frei wie bei einem Aquarell und hatte diese leicht verschleierte Atmosphäre eines Alptraums. Aber es besaß eine unglaublich dramatische Wucht und eine dem Betrachter an die Nieren gehende Aussagekraft.
Die mit ihren angelegten Gewehren so bedrohlich wirkende Schar französischer Soldaten war eine anonyme Masse in blauen Uniformen, deren Gesichter im
Schatten der Tschakos, die sie trugen, unkenntlich blieben. Die spanischen Guerillas hingegen waren so deutlich herausgearbeitete Individuen, daß man sie sogleich in einer Menge wiedererkannt hätte. Einige von ihnen lagen sterbend auf dem Boden - unter ihnen ein spanischer Priester, der mit einer Hand ein Kruzifix umklammerte.
Die zentrale Figur des Gemäldes oder dessen Blickfang war jedoch ein junger Mann, der die Arme nach außen warf, als die Kugeln aus den französischen Gewehren in seinem Körper einschlugen und dem das Blut aus den Löchern, die sie in seinen Leib rissen, auf das weiße Hemd tropfte. Wer dieses Bild betrachtete, würde es mit den Augen eines Menschen sehen, der sich über die Schrecknisse und Grausamkeiten des Krieges empörte.
»Ich verstehe Eure Bedenken, ob man es für die Ausstellung annehmen wird«, sagte Sir Anthony. »Die Akademie hat in der Regel etwas gegen Bilder von einer derartig exzessiven Emotionalität. Wie nennt Ihr es?«
»Navarra, fünfter November, 1811«, erwiderte Ken-neth düster.
»Nun zeigt mir noch das andere«, sagte Sir Anthony knapp.
Rebecca blickte ihren Vater überrascht an. Obwohl er ein Vertreter der klassischen Stilrichtung war, mußte er doch die künstlerische Qualität von Kenneths Arbeit erkannt haben.
»Es sind zwei miteinander verwandte Szenen«, erklärte Kenneth, als er nun das andere Bild von der Staffelei nahm und es neben die Hinrichtungsszene auf das Bett stellte. »Ich habe es >Spanische Pietä< getauft.«
Es war noch beeindruckender als das erste. >Pietä< war das italienische Wort für Barmherzigkeit und zugleich die Bezeichnung eines der klassischen Motive der christlichen Kunst: Die Heilige Jungfrau Maria, die den Leichnam ihres Sohnes auf dem Schoß hält. Rebecca sah, daß Kenneth auf seinem Bild die Pose der berühmten Pietä-Skulptur kopiert hatte, die Michelangelo für den Petersdom angefertigt hatte. Nur hatte seine Version mit der klassischen Zurückhaltung, die sein Modell auszeichnete, nicht das geringste gemein.
Vielmehr war auf diesem Bild das, was ihr Vater als eine überbordende Emotionalität der Aussage betrachtete, auf eine noch ergreifendere und prägnantere Weise dargestellt. Kenneths Pietä war eine spanische Frau in mittleren Jahren, die den Leichnam ihres Jungen -die Zentralfigur des anderen Bildes - auf ihren Armen wiegte und mit dem in den Nacken geworfenen Kopf und dem zu einem Schrei geöffneten Mund sich bei ihrem Schöpfer über die Ermordung ihres Kindes beklagte.
Das Bild war zeitlos und seine Wirkung so stark, daß sie alle Mauern, die sie seit dem Tod ihrer Mutter zu ihrem Selbstschutz errichtet hatte, durchschlug und sie im Kern ihres eigenen Kummers traf. Sie starrte, förmlich gelähmt von ihrer Reaktion, auf das Bild und fürchtete, daß sie nun jeden Moment in Tränen ausbrechen und vielleicht nie mehr aufhören könnte, zu weinen.
Da zwang sie sich dazu, von dem Bild wegzublicken und ihren Vater anzusehen, der das Gemälde mit ausdrucksloser Miene studierte. Am liebsten hätte sie ihn nun geschlagen, weil er nichts sagte. Spürte er denn nicht, wie verzweifelt Kenneth auf sein Urteil wartete?
Endlich brach Sir Anthony das lastende Schweigen mit den Worten: »Ihr müßt noch viel lernen, ehe Ihr ein großer Maler seid. Doch ein großer Künstler seid Ihr schon jetzt.« Damit drehte er sich um und verließ das Studio.
Kenneth blickte ihm verwirrt nach, weil er nicht wußte, wie er Sir Anthonys Worte auslegen sollte. Als Rebecca sich so weit gefangen hatte, daß sie wieder mit normaler Stimme sprechen konnte, sagte sie: »Mein Glückwunsch, Captain. Ihr habt soeben ein seltenes Lob bekommen.«
Er ließ die angehaltene Luft langsam entweichen und rieb sich den schmerzenden Nacken. »Und was hältst du von den Bildern, Rebecca?«
»Sie sind außerordentlich«, sagte sie ehrlich. »Sie werden sowohl Liebe wie Haß inspirieren. Deine Pietä ist so stark, daß ich es kaum ertragen kann, sie zu
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