Feuer der Rache
Sabine bückte sich und hob ein paar der dunkelroten Rosenblätter auf, die im ganzen Raum verstreut waren. Neben dem Sessel, auf dem sie am Abend gesessen hatte, stand nun ein rundes Tischchen, auf dem alles versammelt war, was man von einem fürstlichen Frühstück erwarten konnte. Auf dem chinesischen Porzellanteller lag eine einzelne samtrote Rose.
Wie hat er das gemacht?, fragte sie sich verwundert und ließ sich in den Sessel sinken. Mit einem Seufzer griff sie nach einem Brötchen und bestrich eine Hälfte dick mit Butter und Marmelade, auf die andere stapelte sie geräucherten Lachs. Sogar der Champagner war noch kühl.
„Auf unsere Nacht", flüsterte sie und prostete dem leeren Zimmer zu.
Es war bereits später Nachmittag, als sich Sabine endlich aufraffte, zu duschen und sich anzuziehen. Ihr schlechtes Gewissen drückte sie. Hatte sie Rosa Mascheck nicht versprochen, weiter an dem Fall „Iris" dranzubleiben und die geheimnisvollen Umstände ihres Todes zu klären? Nun waren wieder fast drei Tage vergangen, und sie hatte sich noch immer nicht um die Sache gekümmert. Es war so viel geschehen. Sabine schloss die Augen und ließ die Ereignisse noch einmal wie im Zeitraffer vorbeirasen: Die Verhöre in den drei Mordfällen, der überraschende Besuch der Witwe in ihrer Wohnung, die seltsamen Gespräche mit von Raitzen und Canderhorst. Und dann Peters Überfall auf Michael. Sabine dachte an ihren Zorn auf den Vampir. Wäre sie wirklich in der Lage, ihn zu zerstören? Oder war das eine ebenso leere Drohung wie so vieles, das man im Streit sagte? Wie oft schrie jemand: Den bringe ich um! Wenn daraufhin jedes Mal ein Mord passieren würde, dann hätten sich die Mordbereitschaften mit weit mehr als vierzig oder fünfzig Fällen im Jahr zu beschäftigen!
Sie schweifte ab. Vielleicht wollte sie ihre Gefühle gar nicht so genau analysieren. Am Sonntagabend erst hatte sie seine Gläser zerschmettert, weil er sich an ihrem -Freund? -vergriffen hatte, und nun lag die unglaublichste Liebesnacht hinter ihr -mit einem Vampir! Sabines Finger tasteten über ihren Hals und die anderen Stellen an ihrem Körper, an denen seine Zähne ihre Spuren hinterlassen hatten. Dennoch konnte er ihr nicht viel Blut geraubt haben. Sie fühlte sich nicht schwächer als nach einer durchfeierten Nacht.
Welch eine Beherrschung musste es ihn gekostet haben, sich zu beschränken! War er in der Lage, so etwas wie Liebe zu empfinden? Selbstlose Liebe, bei der nicht er im Mittelpunkt stand? Oder war das nur die ausgefeilte Taktik, der schon lange vorbereitete Plan, um am Ende seine Gier zu befriedigen?
Was empfand sie für dieses Wesen, das aussah wie ein Mann und sich ab und zu auch so verhielt, jedoch nicht einmal ein Mensch war? Konnte sie es sich leisten, ihn zu lieben, oder würde das ihren Körper und ihre Seele zerstören? War es nicht schon zu spät, die Notbremse zu ziehen?
Und wie sollte sie Michael begegnen, wenn sie ihn wiedersah?
Nein, diese Gedanken wollte sie nicht weiterverfolgen. Es wurde Zeit, dass sie sich um ihre Aufgaben kümmerte! Sie kippte den Rest des schal gewordenen Champagners ins Spülbecken und suchte ihre Tasche mit dem Handy. Wo sollte sie beginnen? Aletta! Die Kommissarin war sich sicher, wenn jemand ihr weiterhelfen konnte, dann war es die junge Frau mit dem Hexenspleen. Aber wollte sie ihr auch helfen? Nun, es gab nur einen Weg, das herauszufinden.
Aletta war nicht zu Hause, aber sie meldete sich bereits nach dem zweiten Klingeln an ihrem Handy. Sie hörte die Kommissarin schweigend an, ohne sie zu unterbrechen, sagte dann aber mit Nachdruck: „Nein! Frau Berner, Ihr Einsatz in allen Ehren, aber Sie sollten erkennen, wenn es vorbei ist. Die Familie hat Sie beauftragt, und sie hat den Auftrag nun beendet. Es war eine private Anfrage, keine an die Kripo, das sollten Sie nicht vergessen. Sie haben sich nicht im öffentlichen Interesse auf die Suche nach Iris gemacht, daher besteht auch kein Grund für Sie, sich weiterhin mit den möglichen Hintergründen zu befassen. Ich verstehe Frau Jacobson gut. Damals bestand noch Hoffnung, Iris lebend zu finden -oder zumindest die quälende Ungewissheit zu beenden. Nun aber hegt Iris' Leiche beim Bestatter und wird morgen beigesetzt. Lassen Sie die Familie in Frieden trauern! Wühlen Sie nicht weiter in Vermutungen und Gerüchten herum. Das wird nichts bringen, außer Kummer für die Angehörigen!" Sie verabschiedete sich höflich, aber bestimmt und legte auf. Sabine
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