Feuer der Rache
entgegenzunehmen."
Iris springt wütend auf: „Wie kannst du nur so was Gemeines über sie sagen! Maike ist meine Schwester, und sie ist immer gut zu mir."
„Du merkst das ja gar nicht, wie sie dich ständig rumscheucht. "
„Ach, hört auf, ihr zwei! Lasst uns noch mal zu dem Feuer am Strandhotel gehen. Das sieht so gruselig aus mit der Figur, die sie da oben an die Baumspitze gebunden haben."
Die Mädchen stehen auf, klopfen sich den Sand aus den Kleidern und schlendern am Eibufer auf das nun hoch in die Nacht auflodernde Feuer zu. Sie können die Hitze auf ihrer Haut spüren. Die Flammen fressen sich rasch durch die meterhoch aufgetürmten Kisten und Reisigbündel und schlagen funkensprühend in die Nacht. Sie hüllen die Figur hoch oben ein. Nur wenn ein Windstoß das Feuer auseinandertreibt, kann man die Umrisse noch erkennen. Carmen schaudert.
„Als ob sie da einen Menschen verbrennen würden."
„Eine Hexe", sagt Aletta und starrt die Flammenwand hinauf, die ihr Gesicht glühen lässt. Die Hitze greift um sich und wird so unerträglich, dass sie zurückweichen müssen.
Die drei Mädchen schlendern noch ein wenig umher, drängen sich zwischen den nun schon recht angetrunkenen Menschengruppen hindurch: Um zehn verabschiedet sich Carmen. Sie hat ihrer Mutter versprochen, sich am Strandhotel mit ihr zu treffen. Aletta und Iris folgen dem Strandweg zu Füßen des Baurs Park.
„Willst du über Nacht bleiben?", fragt sie Iris. „Oder soll ich meine Mutter fragen, ob sie dich heimfährt?"
Iris will nach Hause. Wenn sie bei Aletta bleibt, dann ist Maike sicher sehr gekränkt, aber allein soll sie nicht durch den Park gehen, daher wird sie Frau Reichmann bitten müssen. Ihre Mutter ist nicht daheim, sonst könnte sie sie anrufen.
Sie erreichen die dichte Hecke, die sich um das Reethäuschen und den Garten der Familie Reichmann zieht. Hinter den beiden Mädchen gehen schon seit einiger Zeit fünf Jungen, die sie nun einholen. Ihre Stimmen sind klar vom Gemurmel der anderen Osterfeuerbesucher zu unterscheiden. Aletta und Iris bleiben stehen.
„Das sind doch die verschworenen fünf aus der Zwölften", sagt Aletta, als Sven, Alex, Eike, Lorenz und Kai näher kommen. „Meinst du, die sind auf dem Heimweg?"
Sie spricht die fünf Jungs an. Was ist schon dabei? Sie gehen in die gleiche Schule, man kennt sich von den Pausen, und Iris' Schwester wird von Lorenz, Alex und Eike hofiert.
„He, wenn ihr durch den Park hochgeht, dann könnt ihr Iris mitnehmen", schlägt Aletta vor. „Sie soll nicht allein nach Hause gehen."
Iris will nicht mit den Jungen durch den Park gehen. Ein ungutes Gefühl warnt sie. Nein, da geht sie doch lieber nach Blankenese zurück und nimmt den Bus.
„Das passt ja wunderbar", strahlt Aletta. „Dann müssen wir meine Mutter nicht von ihrem Film wegholen."
Die Jungen witzeln darüber, ob sich Iris im dunklen Park wohl vor dem großen Wolf ängstigt, den ein Penner vergangene Woche dort gesehen haben will, winken ihr aber zu, ihnen zu folgen.
„Quatsch", sagt Aletta. Iris schiebt das ungute Gefühl beiseite und zwingt sich zu einem Lächeln. Sie umarmt die Freundin zum Abschied.
Aletta ist froh, eine so praktische Lösung gefunden zu haben. Sie lauscht noch einige Augenblicke den sich entfernenden Stimmen, dann geht sie ins Haus. Sie ist müde und legt sich schlafen. Keine Albträume stören ihre Nacht. Keine Schreie reißen sie aus dem Schlaf.
Als sie viel später darüber nachdenkt, kann sie es nicht fassen, dass sie nichts bemerkt hat und am nächsten Morgen ausgeruht und fröhlich mit beiden Eltern beim Osterfrühstück sitzt.
Es ist spät, als Iris die Haustür zu dem schmalen Reihenhaus aufschließt, in dem sie mit den Eltern und der Zwillingsschwester wohnt. Es ist dunkel und still. Nur der Lärm der Autos, die hinter dem Garten auf der Schenefelder Landstraße Tag und Nacht vorbeibrausen, dringt herein. Iris macht kein Licht an. Sie humpelt -mit nur noch einem Turnschuh an den Füßen, den anderen muss sie irgendwo verloren haben -ins Bad und schließt die Tür hinter sich zu. Noch immer macht sie kein Licht, so als würde sich die Wirklichkeit im Dunkeln besser verdrängen lassen. Was ist die Wirklichkeit? Ihr Gehirn arbeitet nicht mehr richtig. Es ist alles so neblig. Sie ist gar nicht mehr bei sich -sie ist irgendwo anders -weiter oben, schräg hinter ihrem Körper.
Sie sieht sich zu, wie sie im Bad steht und ihre verschmutzten Kleider auszieht -die wenigen, die sie
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