Feuer der Rache
die Hände. „Mach dir keine Gedanken."
Er schob seine Hand unter ihren Ellbogen und führte sie zu seinem Motorrad, das unberührt am Stamm der Esche lehnte. Sabine wehrte sich nicht. Ihre Knie fühlten sich seltsam weich an.
Das ist nur die Erschöpfung, es war eine lange Nacht, verteidigte sie sich im Stillen.
„Ich fahre dich direkt nach Hause", schlug er vor. „Deinen Wagen bringe ich dir morgen, wenn du nichts dagegen hast. Es war eine lange Nacht." Wie immer schien er ihre Gedanken zu erraten. Dass für ihn die Zeit knapp werden könnte, erwähnte er nicht. Im Gegensatz zu vorhin im Büro waren keine Anzeichen von Unruhe oder Nervosität zu spüren.
Peter von Borgo schob die Hayabusa auf den Gehweg hinunter. Er reichte Sabine die Lederjacke und wartete geduldig, bis sie sie geschlossen und hinter ihm Platz genommen hatte. Der Himmel wurde bereits gläsern, Sabine war jedoch zu sehr in ihren vor Müdigkeit trüben Gedanken versunken, um zu erkennen, was dies bedeutete.
Peter von Borgo reihte sich in den beginnenden Morgenverkehr ein. Er nahm zwar den kürzesten Weg nach St. Georg, fuhr jedoch nicht so halsbrecherisch wie sonst. Vor dem weißen Mietshaus aus der Gründerzeit, in dem Sabine wohnte, brachte er die Maschine zum Stehen.
„Es war mir ein Vergnügen", sagte er mit einem Lächeln und wartete, bis sich die Haustür hinter ihr geschlossen hatte. Erst dann gestattete er sich einen schnellen Blick nach oben. Zwischen den Häuserreihen war nur ein Streifen bleicher Himmel zu sehen, doch auch so wusste er: Es war spät! Zu spät? Wie viel Zeit blieb ihm noch? Zehn Minuten? Egal, wie schnell er seine Maschine treiben würde, seine Villa in Blankenese würde er nicht mehr rechtzeitig vor Sonnenaufgang erreichen, aber zum Wandrahm könnte er es schaffen!
Der Motor heulte auf. Die schwere Maschine schoss den Glockengießerwall hinunter, am Bahnhof und an den Deichtorhallen vorbei. Er fühlte ein Brennen in der Brust, seine Augen schmerzten im heller werdenden Licht des Morgens. Er musste sich nicht umsehen, um zu wissen, dass sich die Sonne jeden Augenblick über den Horizont schieben würde. Er raste über die Brücke zur Speicherstadt hinüber. Das Motorrad flog geradezu über das Kopfsteinpflaster an den alten Speichern entlang, deren Dächer und Backsteinwände nun zu glühen begannen. Viel zu schnell wanderte der Band des Schattens nach unten.
Der Vampir gab noch einmal Gas und ließ die Hayabusa vor dem Speicher P in eine Lücke zwischen zwei Autos gleiten. Der Lärm des Motors war noch nicht verhallt, da hatte Peter von Borgo schon die Tür aufgerissen und war in das düstere Treppenhaus geglitten. Einen Moment taumelte er gegen die mit vergilbten Kacheln bedeckte Wand. Er war müde. Er musste die Augen schließen und schlafen. Warum nicht einfach hier am Fuß der Treppe in sich zusammensinken und sich der Finsternis ergeben? Dem Schmerz entfliehen, der in seinen Augen brannte und seine Lungen fast zum Bersten brachte.
Nein! Das würde sein Ende bedeuten! Er griff nach dem Treppengeländer und zog sich hoch. Eine Stufe und noch eine. Noch nie war ihm die Treppe so endlos erschienen. Er roch den Staub der Teppiche, die auf den untersten beiden Böden lagerten. Noch ein paar Stufen, vorbei an der Rohseide. Der Duft von getrockneten Chilischoten und Sternanis, von Pfeffer und Nelken wurde stärker. Vor seinen Augen waberten rote Schlieren. Sein Körper schien in Flammen zu stehen. Noch eine Treppe. Der Geruch von Kakao hüllte ihn ein, aber er konnte schon den Geschmack von Tee auf seiner Zunge spüren. Die Rettung war ganz nah. Nur noch ein Absatz. Nur noch diese wenigen Stufen. Er wankte und fiel gegen die Tür, die sich leise knarrend öffnete.
Daheim! Er hatte es geschafft. Inzwischen konnte er nichts mehr sehen, und er war auch nicht mehr in der Lage, sich aufzurichten, doch sein Wille reichte aus, das Bedürfnis, auf der Stelle einzuschlafen, noch einmal zurückzudrängen und auf allen vieren zwischen den Teekisten über den Boden zu kriechen. Seine Hand ertastete das lose Brett und schob es zur Seite, und dann ließ er sich in den Hohlraum gleiten. Seine lange Holzkiste, deren Deckel einladend offen stand, erreichte er nicht mehr. Kaum schloss sich die verborgene Tür hinter ihm, schwanden ihm die Sinne. Die Lider sanken herab. Sein Atem stockte. Das Blut hörte auf zu kreisen. Steif und regungslos lag er auf dem Boden des lichtlosen Verschlages. Erst wenn die letzten Strahlen der Sonne
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