Feuer der Rache
selbst. Woher soll ich Wissen, wie schnell er seine nächste Blutration benötigt? Eine absurde Szene lief in ihrem Kopf ab. Sie stand am Informationsschalter der Unibibliothek und fragte nach wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Ernährungsgewohnheiten von Vampiren. Das würde ein Spaß werden! Sabine barg ihr Gesicht in den Händen. Wenn er nicht bald zurückkam, dann könnte sie demnächst die Kollegen begrüßen, die zur Frühschicht eintrafen!
„Wollen wir gehen?"
Sabine fuhr in die Höhe. Da stand er, kaum zwei Schritte vor ihr entfernt, und lächelte sie an.
„Was hast du getan?", fauchte sie.
Er hob überrascht die Augenbrauen. „Mich für den Rückweg gestärkt. Du sagtest, du würdest noch ein paar Minuten brauchen."
„Aber ich habe nicht gesagt, dass du meine Kollegen aussaugen sollst!"
Der Vampir zuckte mit den Schultern. „Es waren ja nur zwei aus einer anderen Abteilung. Außerdem war ich in Eile und hatte nicht viel Zeit. Sie werden sich bis in ein paar Stunden sicher erholen."
„Es ist mir völlig egal, aus welcher Abteilung sie sind, das ist einfach..."
Ja?"
Sie brach ab und ließ die Hände sinken. Was sollte sie ihm sagen? Dass es unrecht war, Menschen in den Hals zu beißen und ihr Blut zu trinken? Dass er sich nur noch an Leuten vergreifen durfte, die sie nicht kannte? Oder dass er vorsichtig vorgehen sollte, um keinen Verdacht zu erregen?
„Komm, wir gehen." Sie packte ihre Kamera ein und löschte das Licht. Erst im Treppenhaus fiel Sabine ein, dass sie noch immer nicht wusste, wie sie das Gelände wieder verlassen konnten, ohne dass sie die mit hoch entwickelter Technik gespickte Eingangshalle passieren mussten, doch sie fragte ihn nicht. Er nahm zielstrebig den Weg in die Tiefgarage, huschte zwischen einigen Dienstwagen und den beiden weißen Transportern der Spurensicherung hindurch und blieb erst stehen, als sie den Ringgraben hinter sich gelassen hatten. Vor ihnen wuchs die mehrere Meter hohe und breite Betonmauer empor, über der der Nachthimmel langsam verblasste. Rechts und links öffneten sich, von Betonpfeilern unterteilt, Carports.
„Und nun? Ziehst du jetzt eine Leiter aus dem Ärmel?"
„Nein, das wird nicht nötig sein", erwiderte er, ohne auf ihren sarkastischen Ton einzugehen. „Ich werde an dieser Betonstrebe hinaufklettern. Du musst dich nur an meinen Schultern festhalten. Schaffst du das?"
Sie schluckte ihre ungläubige Erwiderung hinunter, denn ganz in der Nähe heulte ein Motor auf. Peter von Borgo schob Sabine in eine der Parkbuchten, in der ein grüner VW-Bus stand. Lichter flammten auf, und ein Wagen fuhr durch den Graben auf die Ausfahrt an der anderen Seite zu.
„Komm jetzt. Wir sollten keine Zeit mehr verlieren." Er trat vor sie, kehrte ihr den Rücken zu und zog ihre Arme um seine Schultern. „Halte dich fest!"
Das konnte nicht wirklich geschehen! Das war einer dieser absurden Träume! Aber war es nicht mindestens genauso absurd, einen Vampir zu kennen und mit ihm durch die Nacht zu ziehen?
Langsam und gleichmäßig stieg Peter von Borgo höher. Seine Finger pressten sich rechts und links der Säule gegen den glatten Beton. Sie konnten eigenüich keinen Halt finden, und dennoch rutschte er nicht ein Mal ab. Seine Knie und Füße schoben von unten nach. Sabine klammerte sich an seine Brust. Längst schon hatte sie den Boden unter den Füßen verloren. Sie fühlte, wie sie an seinem Rücken tiefer glitt, bis sich ihre Hände in seinen Hals krallten. Konnte man einen Vampir erwürgen? Sie wagte nicht zu fragen. Er atmete völlig ruhig und schob sich Stück für Stück den Pfeiler hinauf, bis dieser an einem breiten Betonband endete.
Oh Gott! Bis zur Kante hinauf war es sicher mehr als ein Meter! Drunten erklang wieder das Geräusch eines startenden Wagens. Der Vampir stieg vorsichtig höher reckte sich und schob seine sehnigen Arme nach oben, bis er mit den Fingerkuppen die Betonkante erreichte. Schaudernd schloss Sabine die Augen. Wenn er jetzt abrutschte, dann war alles vorbei. Das würde eine Schlagzeile geben! Doch der Vampir stürzte nicht ab. Genauso ruhig und gleichmäßig, wie er den Pfeiler erklommen hatte, zog er sich zur Brüstung hinauf, bis er ein Bein darüberschwingen konnte.
„Du kannst jetzt loslassen", sagte er sanft.
Es fiel Sabine schwer, ihre verkrampften Hände von seinem Hals zu lösen.
„Entschuldige", krächzte sie. Ihr Mund war völlig ausgetrocknet. „Ich wollte dich nicht erwürgen."
Abwehrend hob er
Weitere Kostenlose Bücher