Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
»Vielleicht verstehen wir es ja dann.«
Anna-Karin sieht kein bisschen glücklicher aus.
»Wenn nicht mal du das kapierst, habe ich ja gar keine Chance«, sagt sie.
»Wir schaffen das.«
Früher bestand Minoos Teil einer Gruppenarbeit darin, die ganze Arbeit alleine zu machen, während die anderen danebensaßen und sich über Partys unterhielten, zu denen sie nicht eingeladen war.
Aber mit Anna-Karin ist es anders. Seit den Abschlussprüfungen des Winterhalbjahrs lernen sie und Minoo zusammen. Und irgendwie ist Anna-Karin sogar
besser
darin als Minoo. Sie gibt nie auf, bis sie nicht das letzte Detail verstanden hat.
»Papa hat gefragt, ob du Samstagabend Lust hast, zum Essen zu uns zu kommen«, sagt Minoo.
Anna-Karin schaut sie überrascht an, während es gleichzeitig zum Unterrichtsbeginn klingelt.
»Wieso das denn?«
Weil er ein schlechtes Gewissen hat, weil er immerzu arbeitet, denkt Minoo. Weil er Superpapa sein will, wenn er ausnahmsweise mal frei hat. Und weil ihm die Idee gerade so gelegen kam, als Mama zu Hause war. Weil er ihr demonstrieren wollte, dass er sich unheimlich für mich und mein Leben einsetzt.
»Wieso nicht?«, sagt sie.
»Gerne«, sagt Anna-Karin nach kurzem Zögern.
Sie will gerade noch etwas ergänzen, als Viktor im Klassenzimmer auftaucht. Minoo sieht, wie Anna-Karin neben ihr zusammenschrumpft, als er auf ihren Tisch zukommt. Aber er würdigt Anna-Karin keines Blickes.
»Hast du mein Geschenk bekommen?«, fragt er Minoo.
»Nein, ich habe kein Geschenk von dir bekommen. Und hätte ich eins bekommen, hätte ich es weggeworfen.«
Das Päckchen von Viktor lag gestern im Briefkasten.
Die geheime Geschichte
auf Englisch in einer schön gebundenen Ausgabe. Minoo hat ganz bestimmt nicht die Absicht, ihm zu erzählen, dass sie es schon zur Hälfte durchhat. Und dass sie ihm recht gibt. Es
ist
etwas anderes, das Original zu lesen.
»Ich glaube nicht, dass du das getan hättest«, sagt Viktor und lächelt auf seine übliche selbstgefällige Art.
»Setzt euch!«, sagt Ylva, die mit einem Stapel Kopien im Arm in die Klasse kommt.
Viktor geht zu dem freien Platz neben Levan und fängt an, seine Sachen auf dem Tisch aufzureihen, nach demselben ordentlichen Muster wie immer.
Ylva lässt den Papierstapel mit einem Knall auf das Pult fallen.
»Entschuldigung, aber Sie sind zu spät«, sagt Kevin und überall im Klassenzimmer wird gekichert.
Ylvas Kiefermuskeln spannen sich. Der endgültige Zusammenbruch scheint permanent unter ihrer Oberfläche zu lauern, und Minoo fragt sich, wie es ihr überhaupt gelungen ist, so lange durchzuhalten.
»Oder ist es etwa so, dass
Sie
zu spät kommen dürfen, aber wir nicht?«, fährt Kevin fort.
»Ja, Kevin, ich darf ein paar Minuten zu spät kommen, wenn es Probleme mit dem Kopierer gibt«, sagt Ylva und richtet sich auf.
Aber Minoo kann sehen, dass ihre Hand zittert, als sie INDUKTION an die Tafel schreibt.
»Heute werden wir wiederholen«, sagt sie. »Kann jemand diesen Begriff hier erklären?«
Wie auf ein geheimes Signal hin melden sich Minoo und Anna-Karin.
Ylva schaut sich enttäuscht im Klassenzimmer um.
»Sonst keiner?«
»Wir finden, wir sollten über die Atmosphäre in der Klasse sprechen«, sagt Hanna A. »Ich denke, wir müssen etwas gegen die schlechte Stimmung unternehmen.«
Minoo lässt die Hand sinken und denkt mit Entsetzen an die Gemeinschaftsübung zurück, die sie am Anfang des Sommerhalbjahrs in Englisch gemacht haben. Jeder sollte sagen, was er über die anderen denkt. Das Ganze artete schnell in eine Trainingseinheit für verdecktes Mobbing auf Englisch aus. Gefördert vom Lehrer, der nicht mal zu kapieren schien, was da ablief.
»Ihr seid hier, um zu lernen, wie …«, setzt Ylva an.
»Sie finden es also wichtiger, über Induktion zu sprechen, als darüber, wie es Ihren Schülern geht?«, fällt Hanna A. ihr ins Wort.
»Die anderen Lehrer schnallen wenigstens, was wirklich wichtig ist«, sagt Hanna H.
»Es ist mir egal, was die andern Lehrer ›schnallen‹. Das hier ist
mein
Unterricht.«
»Immer mit der Ruhe«, sagt Kevin und lacht. »Wir versuchen doch nur, Ihnen dabei zu helfen, uns zu helfen.«
»Herzlichen Dank, das ist sehr aufmerksam«, sagt Ylva verbissen. »Minoo, würdest du bitte die Frage beantworten?«
Die Veränderungen, die Positives Engelsfors mit sich gebracht hat, sind am deutlichsten in der Mensa zu spüren. In dem kleinen, abgetrennten Raum sitzen immer noch die beliebtesten Schüler. Aber
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