Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
verfluchte Dreckschwein. Er hat sie nicht verdient. Linnéa darf gar nicht daran denken, dass er mit Vanessa Sex hatte, aber es ist nicht leicht, die allzu detaillierten Fantasiebilder zu verdrängen, nachdem sie selbst mit ihm zusammen gewesen ist.
Es tut weh, wenn sie versucht, sich vorzustellen, wie es sich anfühlen würde, Vanessa in den Arm zu nehmen. Ihre Lippen zu küssen, die so weich aussehen. Linnéa denkt an Jontes Fest, als Vanessa aus dem Bad kam und ihren Arm streifte. Daran, wie Vanessa bei ihr zu Hause auf dem Sofa saß, wie sich ihre Beine berührten und wie sie dieses eine Mal tatsächlich das Gefühl hatte, die Welt wäre im Gleichgewicht.
Vielleicht hätte Linnéa sie damals küssen sollen.
Aber sie hat nie einen einzigen Gedanken von Vanessa aufgefangen, der auch nur ihr geringstes Interesse signalisiert hätte. Und Vanessas Gedanken sind so unglaublich
deutlich
. Irgendwann hat sie mal gedacht, Linnéa wäre hübsch, aber das hat schließlich nichts zu bedeuten. Linnéa fand schon zahllose Menschen hübsch, ohne in einen von ihnen verliebt zu sein.
Verliebt.
Das Wort genügt nicht.
»Manchmal wünschte ich,
ich
könnte
deine
Gedanken lesen«, sagt Vanessa. Linnéa wird in die Wirklichkeit zurückgeholt. Vanessa lächelt sie an.
»Was meinst du?«, sagt Linnéa.
»Du siehst so geheimnisvoll aus.«
»Es ist überhaupt nicht geheimnisvoll. Ich habe nur Kopfweh.«
Vanessa bleibt stehen. Linnéa auch.
»Es tut mir leid«, sagt Vanessa. »Ich habe vor dem Friedhof überreagiert. Mir ist klar geworden, dass dir aufgefallen ist, dass ich den Ring nicht mehr trage und …«
»Ich hätte damit auch nicht einfach so rausplatzen dürfen«, sagt Linnéa und holt Luft. »Entschuldige.«
Vanessa kickt eine alte Bierdose weg. Scheppernd rollt sie über den Asphalt.
»Ist es okay, wenn wir keine großartige Wir-sprechen-uns-aus-Nummer daraus machen?«, fragt Vanessa. »Sondern einfach … wieder Freunde sind?«
Linnéa ist so erleichtert, dass sie das Gefühl hat zu schweben.
»Absolut«, sagt sie.
»Ich hab dich vermisst«, sagt Vanessa.
Und ich dich, will Linnéa sagen. Du ahnst nicht, wie sehr.
Aber es ist so furchtbar schwer, genau diese Worte zu sagen,
und ich dich
, ohne dass sie falsch und unnatürlich klingen.
Sie schweigt einen Moment zu lange und Vanessa schaut verunsichert weg. Wieder piept Linnéas Handy. Sie wühlt es aus der Tasche. Olivia hat gesimst.
RUFST DU IWA MAL ZURÜCK ?
Linnéa tut so, als würde sie die Nachricht gründlich studieren, während sie weiter in Richtung Stadtmitte laufen.
»Schau mal«, sagt Vanessa nach einer Weile und zeigt zum Himmel.
Kompakte Gewitterwolken – dunkelblau, fast schwarz – sind aufgezogen.
»Endlich«, sagt Linnéa.
»Ja, oder? Man hat ja schon gar nicht mehr geglaubt, dass es irgendwann so weit kommt«, sagt Vanessa und schaut weiter nach oben.
Sie laufen also nebeneinanderher und reden übers
Wetter
.
Linnéa will vorschlagen, dass sie rauf in ihre Wohnung gehen könnten. Am Fenster sitzen und Blitze anschauen. Aber vielleicht würde sie Vanessa damit verjagen?
Sie hat keine Ahnung, wie man das macht, wenn man wirklich in jemanden verliebt ist. Sie hat es noch nie erlebt. Alle, mit denen sie zusammen war, hat sie bislang ja bestenfalls
gemocht
. Sie waren einfach in ihrem Leben aufgetaucht, und sie hat es zugelassen, als Zeitvertreib, als etwas, das die Rastlosigkeit eine Weile gedämpft, die Leere ein bisschen gefüllt hat.
Sie erreichen das Zentrum von Engelsfors, und Linnéas Augen suchen automatisch alle Alkoholiker-Bänke ab, an denen sie vorbeikommen. Sie ist so konzentriert darauf, dass sie ihn fast übersieht, obwohl er nicht weit entfernt auf dem Bürgersteig steht.
Björn Wallin hat ein hellgelbes T-Shirt mit dem Aufdruck PE ! an. Der Punkt unter dem Ausrufezeichen ist eine lachende Sonne. Seine Haare sind ordentlich gekämmt. Sein Blick ist wach und nüchtern. Und dort, wo früher Lücken im Mund klafften, die das Gesicht ganz eingefallen aussehen ließen, hat er neue Schneidezähne, weiß und ebenmäßig.
Eine Erinnerung erwacht in Linnéa.
Sommerferien. Elias und sie waren im Wald. Sie spielten, sie weiß nicht mehr, was, nur noch, dass sie eigentlich längst zu alt dafür waren. Und sie waren glücklich. Es war noch ewig hin, bis die Schule wieder anfangen würde. Ein schöner Tag.
Sie kam nach Hause und die Wohnung lag völlig dunkel da. Es roch schlimm, roch immer so schlimm, und sie hatte solche Angst
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