Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
Nicolaus’ Geschichte uns etwas bewiesen hat, dann, dass wir keinem Mitglied des Rats trauen dürfen«, sagt Linnéa.
Minoo wirft einen Blick auf ihr Handy.
»Wir müssen los«, sagt sie.
»Aber natürlich«, sagt Vanessa. »Wir wollen doch nicht die erste Magielektion des Herbsthalbjahrs verpassen.«
Auf dem Weg zur Kärrgruva geht Minoo neben Linnéa. Die anderen laufen hinter ihnen, jede für sich.
Linnéa hat noch kein Wort gesagt, seit sie Nicolaus’ Wohnung verlassen haben. Immer wieder betrachtet Minoo aus den Augenwinkeln ihr Profil, den schwarzen Pony und die schulterlangen schwarzen Haare, die sie zu zwei struppigen Zöpfen zusammengenommen hat. Die dunkel geschminkten Augen sind hinter einer großen Sonnenbrille verborgen.
Minoo ärgert sich oft über Linnéas Sperrigkeit und Aggressivität, aber sie bewundert sie auch. Mit einem Menschen wie ihr wäre Minoo gerne befreundet. Aber ihre Leben sind so verschieden. Ihre Unterhaltungen fließen nie zwanglos dahin, zwischen ihnen steht immer Wachsamkeit auf beiden Seiten.
»Denkst du, dass es möglich ist?«, sagt Linnéa plötzlich. »Also, mit den Toten Kontakt aufzunehmen?«
»Ich hoffe es. Ich meine, Matilda versucht ja offenbar auch, mit uns zu kommunizieren.«
»Und zu jemandem, der das nicht versucht?«
Sie sagt es schnell, als wollte sie ihre Gefühle verbergen, aber Minoo ist klar, dass Linnéa an Elias denkt. Und vielleicht an ihre Mutter? Minoo fragt sich, ob Linnéa sich überhaupt an sie erinnern kann. Wie alt war sie, als ihre Mutter starb?
»Ich weiß nicht«, sagt Minoo vorsichtig. »Vielleicht kannst du das Buch danach fragen?«
Linnéa antwortet nicht.
Sie haben die Kärrgruva fast erreicht. Seit dem letzten Schultag vor den Sommerferien war Minoo nicht mehr hier. Aber es hat sich nichts verändert. Der kaputte Zaun. Das Kassenhäuschen, das mit Brettern vernagelt ist. Die verwilderten Hecken. Der runde Tanzpavillon, mit seinem spitzen Dach, das zwischen den Bäumen aufragt.
Als sie durch den Eingang gehen, nimmt das Gefühl, dass alles gleich geblieben ist, noch zu. Es ist beinahe
zu
gleich. Als wäre der verlassene Vergnügungspark in seinem Verfall eingefroren. Als würde der Ort die Luft anhalten.
Im Pavillon steht die Rektorin.
Adriana Lopez trägt einen schmalen Rock, der bis zu den Knien reicht, und eine elfenbeinfarbene Seidenbluse, wie immer zugeknöpft bis zum Hals. Sie hat einen Schweißfleck auf der Brust. Minoo versteht nicht, dass sie nicht wenigstens ein paar Knöpfe aufmacht. Sie hat nichts mehr zu verbergen. Sie haben ihre vernarbte Haut schon gesehen.
Der Rabe, der Adrianas Familiaris ist, krächzt laut auf dem Dach, und Adriana hebt den Blick und winkt ihnen zu. Ihre Körpersprache ist noch steifer und ihr Rücken noch ein wenig aufrechter als sonst.
Minoo und Linnéa gehen auf die Tanzfläche und die anderen folgen eine nach der anderen.
Hier irgendwo hat er sie begraben, denkt Minoo und lässt den Blick über den Vergnügungspark schweifen.
Sie wünschte, sie hätte Nicolaus gefragt, wo genau Matildas Körper liegt, dann hätten sie die Stelle mit einer geheimen Markierung versehen können, um ihr Andenken in Ehren zu halten.
»Willkommen, Mädchen«, sagt die Rektorin, als alle versammelt sind.
Ihr Lächeln wirkt aufgesetzt.
Minoo tauscht einen schnellen Blick mit Linnéa. Sie haben dasselbe gesehen. Adriana ist nervös.
»Es gibt etwas, das ich euch sagen muss«, hebt sie an, aber sie stockt, als sich Motorenlärm nähert. Schotter knirscht unter schweren Reifen.
Ein dunkelgrüner Wagen hält unmittelbar vor dem Tor.
Der Motor verstummt, und der Fahrer, ein großer Mann im Anzug, steigt aus. Auch die Beifahrertür öffnet sich und Viktor taucht auf. Er schlägt die Autotür mit einem Knall zu.
Die Kärrgruva ist aus dem Gedächtnis der Menschen in Engelsfors gelöscht. Niemand kommt mehr hierher. Niemand kann sich auch nur daran erinnern, dass es den Park je gegeben hat.
Aber jetzt betritt der Fremde das Gelände, dicht gefolgt von Viktor.
Minoo sieht die Rektorin an. Ihr Gesicht ist eine verschlossene Maske. Sie hat sich in die Adriana Lopez zurückverwandelt, der Minoo vor einem Jahr begegnet ist. Damals konnte Minoo sich nicht vorstellen, dass diese Frau überhaupt Gefühle hat.
Adriana schaut zu Viktor und dem Unbekannten, als sie den Pavillon betreten.
Der Fremde ist vielleicht Mitte vierzig, schätzt Minoo. Ist er Viktors Vater? Das wäre ein genetisches Wunder. Dieser Mann hier
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