Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
Tonfall, der erahnen lässt, dass er sich in seinem ganzen Leben noch nie so sehr gelangweilt hat wie jetzt.
Minoos Ohren werden heiß. Sie will nur noch weg. Dieses Gespräch weiterzuführen, hat überhaupt keinen Sinn. Nicht mal Gustafs Charme wird bei diesem Typen fruchten, der jetzt die Autotür zuschlägt und mit den Händen über die Bügelfalten seiner Hose streicht. Dann hebt er den Kopf und schaut Minoo intensiv an.
Sie hat das Gefühl, als könnte er direkt in ihr Innerstes sehen und als wäre er von dem Anblick nicht gerade beeindruckt.
»Komm. Wir gehen«, murmelt sie und fasst Gustaf am Arm, zieht ihn mit sich.
»Der Typ wird den Ruf der Stockholmer in dieser Stadt sicher nicht verbessern«, sagt Gustaf, als sie über das Feld zurückgehen.
»Nicht direkt«, sagt Minoo.
Als sie am Waldrand ankommen, dreht sie sich noch einmal nach dem Herrenhof um. Sie glaubt, im oberen Stock eine Bewegung wahrzunehmen.
»Was willst du jetzt machen?«, fragt Gustaf.
»Ich weiß nicht«, sagt sie.
Ihr Handy piept und sie nimmt es aus der Rocktasche. Eine Nachricht von Linnéa. Sie öffnet die SMS .
»Ist was passiert?«, fragt Gustaf.
»Nein«, lügt sie. »Gar nicht.«
3. Kapitel
G
roße Schatten fallen auf den Boden, aber sie kühlen nicht. Im Gegenteil, hier im Wald ist die Hitze noch drückender. Die Luft ist schwer und riecht nach Harz, Nadeln und sonnenwarmen Bäumen. Dann ist da noch dieser besondere Waldgeruch, für den Anna-Karin keine Worte hat. Sie atmet ihn tief ein, während sie einem schmalen Pfad folgt, der sich zwischen den rauen Stämmen durch die Blaubeerbüsche schlängelt.
Um sie herum ist es vollkommen still. Aber die innere Ruhe, die sie im Wald sonst findet, will sich nicht einstellen.
Der Wald, die Tiere und Großvater sind immer Anna-Karins Zuflucht gewesen. Doch erst seit Mama und sie in die Wohnung im Zentrum von Engelsfors gezogen sind, hat sie wirklich begriffen, wie viel ihr das alles bedeutet.
Der Bauernhof ist verkauft. Großvater wohnt im Altenheim. Aber der Wald ist Anna-Karin geblieben. In den Ferien war sie beinahe jeden Tag hier. Weit weg von anderen Menschen, die sie von allen Seiten bedrängen, von ihren Blicken, von Asphalt, Backsteinen, Beton und Hässlichkeit. Hier kann sie leichter atmen. Hier traut sie sich sogar zu träumen.
Ja. So ist es
sonst
. Aber heute ist etwas anders.
In Engelsfors wachsen alle Kinder mit den mahnenden Worten auf: »Bleib im Wald immer auf den Wegen.« Karten und Kompass scheinen hier nie zu funktionieren, wie sie sollen, und sämtliche Versuche, Wandertage mit Orientierungslauf zu veranstalten, wurden schon lange eingestellt. Es endete immer in einer großen Suchaktion. Es ist, als wäre der Wald von innen heraus größer, als wenn man ihn von außen betrachtet. In Anna-Karins Kindheit verschwanden mehrere Menschen spurlos.
Aber jetzt geht es ihr zum ersten Mal so wie den meisten anderen im Wald von Engelsfors: Sie verspürt Unbehagen. Ihr wird klar, dass sie keinen einzigen Vogel singen, kein einziges Insekt surren hört. Trotzdem geht sie tiefer in den Wald, lässt sich von ihm umschließen.
Schweiß rinnt ihr die Schläfen hinunter, und sie registriert, dass sie bergauf geht. Die Steigung ist so schwach, dass man sie kaum sieht, aber man spürt sie in den Beinen. Rechts von ihr glitzert die Sonne in einem wassergefüllten Grubenloch. Die spiegelblanke Oberfläche erinnert Anna-Karin daran, wie durstig sie ist. Wie konnte sie vergessen, etwas zu trinken mitzunehmen?
Der Weg wird immer steiler und steiniger. Es kommt Anna-Karin vor, als hätte jemand die Heizung hochgedreht. Wenn sie herunterhängende Zweige beiseiteschiebt, knistert das trockene Laub. Der Schweiß auf ihren Lippen schmeckt salzig und sie hört ihren eigenen keuchenden Atemzügen zu.
Der Boden wird ebener, und die Bäume lichten sich, als sie endlich die Kuppe erreicht hat. Sie setzt sich auf einen morschen Baumstumpf, versucht, zu Atem zu kommen. Unter dem Schweißfilm sind die Lippen trocken. Der Durst ist schlimmer als je zuvor, und als sie die Augen zumacht, wird ihr schwindelig. Sie bemüht sich, langsam und tief durchzuatmen, aber sie hat nur das Gefühl, wieder und wieder dieselbe verbrauchte Luft zu inhalieren.
Sie öffnet die Augen.
Die Luft flimmert. Die Farben kommen ihr plötzlich viel kräftiger vor, die Gerüche noch intensiver.
Vor ihr steht ein toter Baum. Er erinnert an einen Menschen, der die Arme in den Himmel streckt. Das Loch im Stamm sieht
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