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Feuer (German Edition)

Feuer (German Edition)

Titel: Feuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele d'Annunzio
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und ihrer Traurigkeit, zwischen dieser immer neuen Lebensfreude und ihrer unablässigen Unruhe, zwischen diesem leichten Vergessen und der Last ihrer schweren Gedanken. Noch klarer erkannte sie seinen Irrtum und die Grausamkeit des Lebens, die hier, an dem Ort, an dem sie Qualen litt, die Gestalt der anderen herzauberte. Als sie sich niederbeugte, sah sie mit derselben Deutlichkeit, mit der sie das jugendliche Gesicht gewahrte, auch das der Sängerin, das sich gleichzeitig mit ihr niederbeugte, ihre Stellung nachahmend, wie der Schatten eine Bewegung auf der erhellten Wand wiederholt. Alles verwirrte sich in ihrem Geist; und in ihrem Denken gelang es nicht, zwischen der Wirklichkeit und dieser Vorstellung zu unterscheiden. Die andere stellte sich ihr in den Weg, verdrängte sie, erdrückte sie.
    »Laß mich! Lasse mich! Ich bin nicht die, die du suchst ...«
    Die Stimme klang so verändert, daß Stelio sein Lachen, sein Spiel unterbrach; er zog seinen Arm zurück; er richtete sich auf. Sie konnte ihn nicht mehr sehen. Die undurchdringliche Mauer aus Zweiggeflecht trennte sie von einander.
    »Führe mich hinaus! Ich kann nicht mehr, ich habe keine Kraft mehr ... Ich leide.«
    Er fand nicht die Worte, sie zu beruhigen, zu trösten. Die Gleichzeitigkeit seines eben empfundenen Wunsches und dieser plötzlichen Divination hatte ihn bis ins Innerste getroffen.
    »Warte, warte ein wenig! Ich versuche, den Ausgang wiederzufinden ... Ich werde jemand rufen ...«
    »Du gehst fort?«
    »Fürchte dich nicht, fürchte dich nicht. Es ist nicht die geringste Gefahr.«
    Und während er so sprach, um sie zu beruhigen, empfand er die Nichtigkeit seiner Worte, den Mißklang zwischen dem lachenden Abenteuer und der düsteren Erregung, die ganz anderen Ursprunges war. Und auch er hatte jetzt in seinem Innern das seltsame Doppelempfinden, aus dem heraus das kleine Geschehnis in zwei verwirrten Gestalten erschien und unter der Bekümmernis seine unterdrückte Lust zum Lachen fortbestand, so daß diese Qual ihm neu war, wie gewisse Beklemmungen, die seltsamen Träumen entspringen.
    »Geh nicht fort!« – bat sie, von ihrer Sinnestäuschung völlig befangen. – »Vielleicht begegnen wir uns dort an der Biegung. Wir wollen es versuchen. Nimm mich bei der Hand.«
    Durch eine Lücke nahm er ihre Hände und zuckte zusammen, als er sie berührte, so kalt waren sie.
    »Foscarina! Was hast du? Fühlst du dich wirklich krank? Warte! Ich will versuchen, die Hecke zu durchbrechen.«
    Gewaltsam riß er das dichte Laubwerk auseinander, brach einige Zweige ab; aber das starke Gewirr widerstand. Er verletzte sich unnütz.
    »Es ist nicht möglich.«
    »Schreie, rufe jemand.«
    Er rief in das Schweigen. Die Spitzen der Hecken waren erloschen, aber auf dem Himmel, der sich darüber wölbte, breitete sich eine Röte, wie der Widerschein brennender Wälder am Horizont. Eine Schar Wildenten, im Dreieck geordnet, die langen Hälse vorgestreckt, zog schwärzlich vorüber.
    »Laß mich gehn! Ich kann den Turm leicht wiederfinden. Von dem Turm rufe ich. Man wird meine Rufe hören.«
    »Nein! Nein!«
    Sie hörte ihn sich entfernen, folgte dem Geräusch seiner Schritte, irrte wieder in den Gängen umher, fühlte sich allein und verloren. Sie blieb stehen. Sie wartete. Sie horchte. Sie blickte auf zum Himmel; sie sah den dreieckigen Schwarm in der Ferne verschwinden. Sie verlor den Sinn für die Zeit. Die Augenblicke schienen ihr Stunden.
    »Stelio! Stelio!«
    Sie war nicht mehr imstande, die Verwirrung ihrer überreizten Nerven zu beherrschen. Sie fühlte den letzten Ausbruch des Wahnsinns kommen, wie man den nahenden Wirbelsturm fühlt.
    »Stelio!«
    Er hörte die angsterfüllte Stimme und mühte sich, den Turm zu finden durch die gewundenen Wege, die ihn bald näher brachten und bald wieder entfernten. Das Lachen war in seinem Herzen erstarrt. Seine Seele erzitterte bis in ihre innersten Wurzeln jedesmal, wenn sein von der unsichtbaren Todesangst ausgestoßener Name an sein Ohr drang. Und das allmähliche Erbleichen des Lichts erweckte in ihm die Vorstellung von Blut, das tropfenweise dahinfließt, von Leben, das entflieht.
    »Hier bin ich! Hier bin ich!«
    Einer der Gänge bog endlich zu der Lichtung ein, auf der der Turm sich erhob. Hastig eilte er die Wendeltreppe hinauf; ein Schwindel ergriff ihn, als er oben war, er schloß, sich an dem Geländer haltend, die Augen; dann öffnete er sie wieder, und er sah am Horizont einen langen Feuerstreifen, er sah die

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