Feuer (German Edition)
ein Glas, das gesprungen ist. Stelio blieb stehen, mit einer Bewegung, wie einer, der auf eine unerwartete Schwierigkeit stößt. Sein Geist irrte über diese rot und grüne Insel Murano, die ganz mit diesen gläsernen Blüten und Blumen übersät war und in ihrer trostlosen Armut selbst die Erinnerung verloren hatte an die fröhliche Zeit, in der die Dichter sie besangen als Heimat von Nymphen und Halbgöttern. Er dachte an die berühmten Gärten, in denen Andrea Navagero, Bembo, Aretino, Aldo und die gelehrte Schar wetteiferten in der Anmut platonischer Dialoge lauri sub umbra , er dachte an die Klöster, die wollüstigen Frauengemächern glichen, bewohnt von zierlichen jungen Nonnen, die in weiße Kamelotts und Spitzen gekleidet, die Stirn von Locken umrahmt, und mit entblößtem Busen nach Art der ehrbaren Dirnen, erfahren in geheimen Liebesdingen, von den ausschweifenden Patriziern sehr begehrt waren und süße Namen trugen, wie Ancilla Soranzo, Cipriana Morosin, Zanetta Balbi, Beatrice Falier, Eugenia Muschiera, alles fromme Meisterinnen der Unzucht. Eine Melodie, die er im Museum gehört hatte, begleitete seinen schwebenden Traum; langsam wie klingende Tropfen kamen die klagenden Töne aus einer kleinen metallischen Spieluhr, die die Drehung eines Schlüssels in Bewegung setzte und die verborgen war unter einem gläsernen Garten, wo mit Glasperlchen geschmückte Figuren um einen kleinen Brunnen aus Onyx tanzten. Es war eine unbestimmte Melodie, ein vergessenes Tanzlied, bei dem einige Noten fehlten, die wegen der Schadhaftigkeit und der Verstaubtheit des Instruments versagten, aber trotzdem so eindrucksvoll, daß er die Melodie nicht loswerden konnte. Und letzt nahm alles rings um ihn die Zerbrechlichkeit und die ferne Melancholie jener kleinen Figürchen an, die zu den Tönen, die langsamer tropften wie durchsickerndes Wasser, tanzten. Die matte Seele von Murano hatte aus diesem alten Spielzeug geflüstert.
Bei der unerwarteten Frage verstummte die Melodie, die Bilder verschwebten, der Zauber des fernen Lebens schwand. Der umherschweifende Geist zog sich mit Bedauern in sich selbst zurück. Stelio fühlte an seiner Seite ein lebendiges Herz bange klopfen, das er mit unbezwingbarer Notwendigkeit verwunden mußte. Er blickte seine Freundin an.
Sie schritt an dem Kanal entlang zwischen dem Grün des ungesunden Wassers und dem Schillern der zierlichen Gefäße, ohne Erregung, fast ruhig. Das abgezehrte Kinn zitterte kaum merklich zwischen dem Saum des Schleiers und dem Zobelkragen.
»Ja, zuweilen« – antwortete er nach einer Minute des Zauderns, vor der Lüge zurückschreckend und die Notwendigkeit fühlend, diese Liebe über die gemeinen Täuschungen und Anforderungen zu erheben, damit sie für ihn eine Quelle der Kraft und nicht der Schwäche bliebe, ein freies Übereinkommen und nicht eine drückende Fessel.
Die Frau schritt ohne zu schwanken vorwärts, aber sie fühlte ihre Glieder nicht in dem furchtbaren Schlagen ihres Herzens, das, wie auf einer einzigen Saite gespannt, vom Nacken bis in die Fersen widerklang. Sie sah nichts mehr, aber sie fühlte dicht neben sich das lockende Wasser.
»Ihre Stimme vergißt man nicht« – fügte er nach einer pause, in der er Mut gesammelt hatte, hinzu. – »Sie ist von fabelhaftem Klangzauber. Vom ersten Abend an hatte ich das Gefühl, als könnte sie für mein Werk ein wundervolles Instrument abgeben. Ich wollte, sie willigte ein, in meiner Tragödie die lyrischen Partien zu singen, die Oden, die sich aus den Symphonien erheben und sich zum Schluß zwischen der einen und der andern Episode in Tanzfiguren auflösen. Die Tanagräerin willigt ein, zu tanzen. Ich rechne auf Ihre guten Vermittlerdienste, teure Freundin, um Donatella Arvales Einwilligung zu erlangen. Die dionysische Dreieinigkeit wäre so auf der modernen Bühne in vollkommener Weise wiederhergestellt zur Freude der Menschen ...«
Während er sprach, fühlte er, daß seine Worte einen falschen Ton hatten,daß seine Unbefangenheit in allzu grausamem Widerspruch stand mit dem tödlichen Schatten, der über dem verschleierten Gesicht der Geliebten lagerte. Wider seinen Willen hatte er seinen Freimut übertrieben, da er die Sängerin als ein einfaches Instrument seiner Kunst betrachtete, als eine rein ideale Kraft, die er in den Kreis seines herrlichen Unternehmens ziehen wollte. Beunruhigt durch das stumme Leid, das an seiner Seite schritt, hatte er sich wider seinen Willen zu einer leichten Verstellung
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