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Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns

Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns

Titel: Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susannah Calahan
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zusammenzog. Tatsächlich jedoch dauerte es noch mehrere Monate, bis ich mit Überzeugung sagen konnte, dass ich mich in meiner Haut wieder wohlfühlte, als ich schließlich wieder darauf vertrauten konnte, nicht zusammenzuzucken, wenn ich einem Exfreund begegnete, und mich nicht mehr ganz hinten in einem Spinning-Kurs verstecken zu müssen.
    Dieses Aha-Erlebnis trat völlig unspektakulär ein, über ein Jahr nachdem die Diagnose gestellt worden war, als ich meine entfernte Verwandtschaft in Santa Fe in New Mexiko aus Anlass der Hochzeit meiner Cousine Blythe im Juni 2010 besuchte. Bei dieser Hochzeit gab es, anders als bei der Hochzeit, an der ich in der Frühphase meiner Genesung teilgenommen hatte, keinen Bruch mehr zwischen der Person, die ich in meinem Inneren war, und der Person, die von ihrer Umgebung wahrgenommen wurde. Ich hatte die Kontrolle über mich und fühlte mich wohl; ich musste nicht mehr kämpfen, um die richtigen Worte zu finden, musste mich nicht mehr zum Small Talk zwingen und hatte meinen alten Humor wiedergefunden.
    Da meine Freunde und meine Familie beinah meinen Verlust hätten betrauern müssen, fühlten sie sich in der Lage, relativ offen über ihr Verhältnis zu mir und den Eindruck, den sie von mir hatten, zu sprechen. Aus diesem Grund kam ich mir oft vor wie Tom Sawyer, der seiner eigenen Beerdigung beiwohnt; ein wirklich merkwürdiges Geschenk.
    Zwei Begriffe tauchten dabei immer wieder auf: »kontaktfreudig« und »gesprächig«. Nahezu jeder nutzte diese beiden oder ähnliche Begriffe, um mich zu beschreiben. Mir war zuvor nie wirklich klar gewesen, wie sehr mich diese beiden Eigenschaften definierten und wie erschütternd es gewesen sein musste, als ich diese Merkmale plötzlich verloren hatte.
    Ich weiß, dass diese neue Susannah der alten Susannah sehr ähnlich ist. Manches hat sich natürlich verändert, aber das ist eher eine Ergänzung meiner Persönlichkeit als eine »Generalüberholung«. Ich spreche wieder schnell, kann meinen Job locker erfüllen, fühle mich wohl in meiner Haut und erkenne mich auf Fotos. Wenn ich jedoch Fotos von mir ansehe, die »danach« und »davor« aufgenommen wurden, bemerke ich eine Veränderung, etwas ist verloren gegangen – oder hinzugekommen, das ist schwer zu sagen –, wenn ich in meine Augen blicke.
    Die Tatsache, dass ich mich auf Fotos wiedererkenne, bedeutet natürlich keine vollständige Rückkehr; ich bin anders als zuvor. Wenn ich versuche, alle subtilen Veränderungen genau zu bestimmen, fasst meine Hand instinktiv an die raue, unebene und kahle Stelle vorne am Kopf, wo nie wieder Haare wachsen werden. Sie ist mein ständiges Andenken daran, dass ich, egal wie »normal« ich mich auch fühlen mag, nie wieder dieselbe sein werde wie zuvor.
    Es gibt jedoch bei Weitem beängstigendere Dinge an dieser neuen Susannah. Ich spreche jede Nacht im Schlaf, was ich früher nie getan habe. Eines Nachts wachte Stephen auf, weil ich schrie: »Da drüben ist eine Milchflasche. Eine riesige Milchflasche!« Das ist einerseits lustig, aufgrund unserer Erfahrungen aber auch etwas unheimlich. Und ich habe heute Ängste, die der sorglosen Susannah von vor der Krankheit unbekannt waren. Vor einigen Monaten rief mich ein besorgter Vater an, um mich über seine Tochter zu informieren, die einen Rückfall erlitten hatte. Dabei berichtete er auch über eine andere Frau, die mehrere Jahre lang vollkommen wiederhergestellt gewesen war, aber kürzlich auf einer Auslandsreise wieder von der Krankheit befallen wurde. Offenbar kommt es in rund 20 Prozent der Fälle zu Rückfällen. Anders als bei Krebs gibt es hier keine Angaben zur Dauer, bis die Symptome nachlassen. Nach einer vollständigen Genesung kann ein Rückfall morgen ebenso eintreten wie nach fünf Jahren. Patientinnen ohne Teratom, wie ich, haben aus unbekannten Gründen ein höheres Rückfallrisiko, zumindest haben die Patienten nach einem Rückfall aber dieselbe Genesungsrate wie nach dem ersten Ausbruch der Erkrankung. Das ist nur eine kleine Beruhigung.
    Kürzlich, als Stephen und ich in unserer Wohnung in Jersey City vor dem Fernseher saßen, sah ich aus dem Augenwinkel auf dem Boden etwas laufen.
    »Hast du das gesehen?«, fragte ich Stephen.
    »Was gesehen?«
    »Nichts.« Werde ich wieder verrückt? Wird es so passieren?
    Dann sah ich es wieder. Dieses Mal griff Stephen nach seinem Schuh und zerdrückte den fünf Zentimeter langen Wasserläufer.
    Ich lebe mit dieser Angst. Sie beherrscht mich

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