Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns
Telefonnummer gegeben. »Woher wollen Sie wissen, dass Sie nicht wieder krank werden?«, fragte er aggressiv.
»Ich weiß es nicht. Diese Frage kann ich wirklich nicht beantworten.«
»Wie können Sie sicher sein?«
»Ich kann nicht sicher sein. Genau das sagen mir meine Ärzte.«
»Und wie kann es sein, dass es Ihnen besser geht, während meine Frau noch krank ist, obwohl sie die Diagnose vor Ihnen erhalten hat?«
»Ich weiß es nicht.«
Zwei Wochen später rief er wieder an. »Sie ist tot. Sie ist letzte Woche gestorben. Ich dachte, das sollten Sie wissen.«
Für seine Frau hatte es keine rettende Diagnose gegeben. Es gibt nicht bei jedem eine Wunderdiagnose. Darin scheint keinerlei Logik zu liegen; es ist das Glück wie bei einer Verlosung, so unfair und hartherzig und, offen gesagt, erschreckend das klingen mag. Selbst wenn die Erkrankung angemessen behandelt wird, bleibt ein 25-prozentiges Risiko, dass die oder der Betroffene dauerhaft eingeschränkt bleibt oder stirbt.
Ich hatte jedoch infolge der Krankheit sehr viel mehr Kontakte, die diese schreckliche Krankheit in eine Art Geschenk verwandelten – keines, das ich meinem schlimmsten Feind schenken würde, aber doch ein Geschenk. Ich freundete mich beispielsweise mit einer Frau namens Nesrin Shaheen an, deren Tochter, als sie noch keine 13 Jahre alt war, etwa in derselben Zeit wie ich die Krankheit bekam und die inzwischen unermüdlich damit beschäftigt ist, die Krankheit bekannt zu machen, indem sie zahllose Stunden mit einer Facebook-Seite über Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis zubringt und Hunderten von Menschen hilft, durch diese einsame Krankheit zu surfen. Zusätzlich zu Nesrins Facebook-Seite widmen sich viele weitere Seiten der Verbreitung entsprechender Informationen und vernetzen Patienten und Familien, sodass sie nicht alleine durch dieses Martyrium gehen müssen.
Der Moment in meinem ganzen Leben, der mich am meisten bestätigt hat – und dies mit absoluter Gewissheit sagen zu können, ist ein weiteres Beispiel dafür, wie sehr die Erkrankung meine Sichtweise positiv verändert hat –, war, als ein Mann namens Bill Gavigan mich im Frühjahr 2010 anrief.
»Spreche ich mit Susannah Cahalan?«, fragte er atemlos.
»Ja«, antwortete ich bestürzt. Normalerweise sagen die Leute meinen Namen nicht, als habe er ein solches Gewicht. Er begann, mir die Geschichte seiner Tochter Emily zu erzählen, einem Teenager.
Eines Tages, Emily war Schülerin eines College in Pennsylvania, fing sie an, sehr schnell zu sprechen, und hatte die wahnhafte Idee, von Kleinlastern verfolgt zu werden, die sich über Walkie-Talkies darüber austauschten, wohin sie gerade ging. Am nächsten Tag, als sie mit ihren Eltern auf dem Weg zu einer Broadway-Show in New York war, war Emily auf die Autos um sich herum fixiert. Sie behauptete steif und fest, sie würden beschattet, was Bill und seine Frau Grace so beunruhigte, dass sie sofort wendeten und eine Krankenhaus-Notaufnahme ansteuerten. Im Krankenhaus verstärkte sich Emilys Paranoia, weil der Arzt in der Notaufnahme sie an ihren Geschichtslehrer von der Highschool erinnerte, sodass sie überzeugt war, er sei ein Blender, ein Schauspieler, der die Rolle eines Arztes spielte – genau wie es mir mit meinem Vater und der EEG-Schwester ergangen war.
Emily ließ sich selbst in eine psychiatrische Abteilung einweisen, wo sie zur Beobachtung und 72 Stunden ohne jeglichen Kontakt zu ihrer Familie blieb. Man verordnete ihr eine ganze Liste von Stimmungsstabilisatoren und Antipsychotika und behielt sie noch zwei Wochen in der Abteilung, bis sie mit der Diagnose »nicht weiter spezifizierte Psychose« entlassen wurde, was im medizinischen Jargon soviel heißt wie »Wir haben keine Ahnung«.
Obgleich sie stark unter Beruhigungsmitteln stand, bestand sie darauf, wieder in die Schule zu gehen. Dann erhielten ihre Eltern jedoch einen Anruf vom Schulleiter, der seine große Sorge über Emilys sprunghaftes Verhalten äußerte. Sie kam nach Hause und pendelte in den nächsten Wochen zwischen ihrem Elternhaus und dem örtlichen Psychiater, bis sie für drei Wochen in das Psychiatrische Institut von Pennsylvania eingewiesen wurde. Bill verglich diese Erfahrung mit dem Film Einer flog über das Kuckucksnest. Obwohl sie bislang keine Diagnose erhalten hatten, erzählte der Psychiater ihren Eltern, er glaube an die Diagnose Schizophrenie, sogar noch, nachdem andere Neurologen als mögliche weitere Diagnose multiple Sklerose genannt
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